„Der Vorgang ist für das Europaparlament blamabel“

■ Wolfgang Ullmann, früherer DDR-Bürgerrechtler und heute Mitglied des Europaparlaments, zum EU-Menschenrechtsbericht

taz: Wie steht die Fraktion der Grünen zu dem Menschenrechtsbericht, der vom Innenausschuß des Europäischen Parlaments verabschiedet wurde?

Wolfgang Ullmann: Im wesentlichen positiv. Wir halten es für sehr wichtig, daß der Bericht die Problematik von Rassismus und Antisemitismus aufgreift und sich umfassend mit dem Zusammenhang von Menschenrechten und sozialen Problemen, mit Migrations- und Asylfragen beschäftigt.

Zwei Artikel verurteilen die Benachteiligung und Bestrafung von Verantwortlichen des SED-Regimes. Warum hat auch die Grünen- Vertreterin diesen Artikeln 132 und 133 zugestimmt?

Das war offensichtlich ein Versehen und hängt damit zusammen, daß unser Interesse sich auf Themen wie Asyl, Migration und Menschenrechtsverletzungen im Strafvollzug konzentrierte. Der Rechtsausschuß, dem ich angehöre, lehnte den Bericht ab. Die Artikel 132 und 133 sind skandalös. Ich denke gar nicht daran, mich darüber zu empören, daß juristisch gegen Leute vorgegangen wird, die in der DDR meine Rechte und die anderer grob verletzt haben.

Freuen die Konservativen sich über das Maleur, weil es ihnen Gelegenheit gibt, den ganzen Bericht abzulehnen?

Das dient ihnen als zusätzliches Argument. Ihre Ablehnung wendet sich gegen die Thematisierung von Menschenrechten im Bereich von Asyl und sozialen Fragen.

Wird durch die DDR-Artikel der ganze Bericht entwertet?

Der Vorgang ist für das Europäische Parlament außerordentlich blamabel. Ich werde meine Fraktion bitten, einen Antrag auf Streichung der beiden Ziffern einzubringen. Aber der Bericht, der im Februar ins Plenum kommt, wird nicht dadurch entwertet, daß sich eine Randposition in einem Bereich durchgesetzt hat, der nicht zu seinen Kernpunkten gehört.

Was ist daraus zu lernen?

Der Verlauf der Debatte zeigt die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen der europäischen und der deutschen Öffentlichkeit. Ich beklage, daß im Europäischen Parlament eine mangelnde Klarheit über die schweren Rechtsfolgen der Menschenrechtsverletzungen in kommunistischen Regimen besteht. Es gibt dort Nachholbedarf an Information über die DDR. Es gibt aber auch Nachholbedarf in der deutschen Öffentlichkeit, die – nicht zuletzt wegen der Politik der Konservativen – bei weitem nicht die nötige Sensibilität gegenüber dem Menschenrechtsaspekt bei der Asylproblematik und in sozialen Fragen aufweist.

FDP- und CDU-Politiker wollen minderschwere DDR-Straftaten mittelfristig von der Strafverfolgung ausnehmen. Wie stehen Sie dazu?

Abwartend. Ich mache meine Entscheidung abhängig vom Stand der juristischen Aufarbeitung und von der Meinung der Opfer. Es darf nicht sein, daß der Gesetzgeber ihnen das Recht beschneidet, gegen jene Anklage zu erheben, die ihnen Unrecht getan haben.

Muß man sich auf eine Güterabwägung einlassen, bei der gesellschaftliche Befriedung und Integration gegen die Rechte einzelner abgewogen werden?

Das muß man schon. Auf jeden Fall aber werde ich dafür eintreten, daß die Rechte der Opfer nicht weiter so marginalisiert werden, wie das zur Zeit immer noch geschieht. Interview: Hans Monath