: Thanatussi
■ Wie aus dem Pixi-Buch: Doris Dörries letzter Streich "Keiner liebt mich"
Mit wohlparfümierter Penetranz stolzieren sie durchs Leben, als wär's ein Laufsteg. Dufte sind sie, die weiblichen Heldinnen deutscher Komödien, tough cookies und bedrohlich originell. Mißgeschicke unterstreichen nur die Perfektion. Nie würden ihnen Peinlichkeiten widerfahren wie mir neulich: Bringe den Müll runter, gehe dann zum Supermarkt. Wundere mich in der Schlange über den merkwürdigen Geruch. Stelle an der Kasse fest, daß der Gestank aus meiner Mülltüte dringt.
Doris Dörries Fanny Fink passieren solche Sachen. Denn Dörrie hat festgestellt: „Die Menschen in Deutschland driften immer häufiger in spinnerte Vorstellungen ab.“ Der Nachkriegsdeutsche als wunderliche, aber dennoch liebenswerte Monade, die gesucht und gefunden werden will. Einsam lebt Fanny in einem potthäßlichen kölschen Appartmenthaus. Ihr Job am Sicherheitscheck des Flughafens ist nicht gerade die Lebenserfüllung. Privat pflegt die leicht angegruftete eine Thanatos-Marotte, besucht Kurse für selbstbestimmtes Sterben, trägt schwarze Klamotten mit Skelettmustern. Fehlt nur der Mann.
„Keiner liebt mich“ beginnt mit dem völlig in die Hose gegangenen Video einer Partnerschaftsvermittlung, auf dem sich Fanny so abgrundtief linkisch präsentiert, daß garantiert absolut niemand auf die Idee kommt, sie könnte eine irgendwie brauchbare Partie sein. In der Kirche zündet sie Kerzen an, für den Traummann, selbstverständlich „aber keinen Raucher, keinen Trinker, keinen Arbeitslosen, und 'ne gute Krankenversicherung“ soll er haben.
Fanny, einsame Single, ihre Mutter, die hysterische Schriftstellerin, ein blonder Traumprinz im Armani-Anzug, ein pittoresker Afrikaner, der in der Nachbarwohnung zu Urwaldtrommeln tanzt – Doris Dörrie spielt mit Typisierungen, um eine nach der andern ins All zu schießen. Das geht nur mit klasse Schauspielern, die in der Lage sind, gleichzeitig Klischee und Ironisierung zu spielen, die zur „Figur“ stehen und sie fortwährend aus den Nähten platzen lassen. Maria Schrader hüpft als Fanny mal wieder mit himmelschreiender Natürlichkeit über die Leinwand, da sei Gott vor, daß ihr beim Lesen der polyphonen Lobgesänge nicht irgendwann ein Birnchen durchbrennt.
Und wer kann im deutschen Film mal so peinlich und mal so gut sein wie Elisabeth Trissenaar? Bei Doris ist Elisabeth buchstäblich umwerfend, wenn sie als Fannys schriftstellernde Mutter Madeleine mit aufgelöstem Haar zur Tür rein stürmt, Katastrophe! Katastrophe!, denn gerade hat Reich- Ranicki ihren Roman „Medusas Liebhaber“ im Fernsehen als „pseudopornographisches PixiBuch“ bezeichnet. Bis in die winzigste Nebenrolle entwickelt „Keiner liebt mich“ einen grundlustigen, straßenweisen Witz (ich kann mir nicht helfen, man müßte ihn sogar fast schon wieder lakonisch nennen), den Joachim Król als Flughafenbeamter mit Hang zu schlüpfrigen Bemerkungen zum absoluten Knallbonbon ausbaut.
Ohne je ins Sentimentale oder weinerlichen Naturalismus zu verfallen, hat die Dörrie genau die Zärtlichkeit für ihre Schützlinge, die man in hiesigen Komödien meistens vermißt. So lacht hier nicht der Mensch über seinen Nachbarn, sondern über das eigene, in der Tat ridiküle Konterfei.
Derweil überschlagen sich die Ereignisse im Hochhaus. Orfeo (!), Fannys afrikanischer Nachbar, Hellseher und Travestie-Künstler, liest ihr die Zukunft aus einem Haufen Knöchelchen. Während das Gebäude unter Preßlufthämmern, Bohrmaschinen und Gerüsten zur apokalyptischen Baustelle mutiert, jagt Fanny ihrem vermeintlichen Prinzen in Gestalt des neuen Hausverwalters durch Wald und Flur und Flure nach. Die gar nicht übertriebene Schilderung von Renovierungs- und Kündigungsterror erfreut durch Wirklichkeitsnähe, ebenso Szenen, in denen die Heldin verloren auf dem Klo sitzt oder just vor dem morgendlichen Rendezvous mit dem Angebeteten entsetzt feststellen muß, daß das Wasser abgestellt ist. Stinkend in die erste Begegnung? Ja!
Mitten im größten Chaos entpuppt sich dann der Blondling als Doofmann, zwischen dem schwulen Schwarzen und dem weißen Grufti beginnt, jawohl, eine wunderbare Freundschaft, und sogar die Außerirdischen dürfen noch ihren Senf dazu geben. Natürlich könnte man benörgeln, daß die Regisseurin ihre Esoterik-Masche ein bißchen überspannt, oder daß drei mal „Je ne regrette rien“ einfach zuviel ist. Aber wozu? „Keiner liebt mich“ bleibt eine klasse Komödie, peng! fertig. Katja Nicodemus
„Keiner liebt mich“, Buch und Regie: Doris Dörrie. Kamera: Helge Weindler. Musik: Niki Reiser. Mit: Maria Schrader, Pierre Sanoussi- Bliss, Michael von Au, Elisabeth Trissenaar, Joachim Król, Peggy Parnass (!) und anderen. Deutschland 1994, 104 Min.
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