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Offene Worte und verdeckte Strafen

Der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB) versucht mit der Stasi-Tätigkeit seiner Starmoderatoren offener umzugehen als andere Sender– aber das ist schwer  ■ Aus Potsdam Michaela Schießl

Gestern morgen um elf bewegte sich nichts mehr im Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg. Intendant Hansjürgen Rosenbauer hatte alle 600 Mitarbeiter ins Kino geladen. Auf dem Programm stand die offene Aussprache über die Stasi-Mitarbeit der Kult-Moderatoren Lutz Bertram und Jürgen Kuttner. Brechend voll waren die Ränge, groß ist die Unsicherheit, wieviel Schaden der ORB erlitten hat, riesig der Ärger über die Unehrlichkeit der Moderatoren, stark die Wehmut, die beiden Aushängeschilder verloren zu haben.

Ob man Bertram nicht auch verstehen müsse, fragten einige. Im Fernsehen hatte der blinde Moderator mit bebender Stimme geschildert, daß seine MfS-Tätigkeit seiner Krankheit geschuldet war. Er hoffte auf einen Reisepaß, um sich im Ausland operieren zu lassen, sagte er, scheinbar den Tränen nahe. „Ich sage dazu nur eins“, sagte Chefredakteur Christoph Singlnstein, „nach der Sendung ist Lutz zum Geburtstag feiern gegangen“.

Intendant Rosenbauer gab sich gelassener als der tief enttäuschte Chefredakteur:„Ich wußte von Anfang an, irgendwann knallt das mal im Sender.“ Doch nicht er sei es gewesen, der die beiden Moderatoren ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt habe. „Daß Kuttner und Bertram sich live im eigenen Medium stellten, war ihre eigene Entscheidung.“ Und, wie Rosenbauer glaubt, eine positive. „Mit der Stasi-Geschichte muß offensiv umgegangen werden. Kein Sender außer uns wagt es, derart öffentlich zu diskutieren. Wir sind kein Stasi- Sender.“

Immerhin ist der ORB die einzige Rundfunkanstalt der neuen Länder, die nicht nur die Festangestellten überprüft, sondern auch die programmprägenden Freien – wie Kuttner und Bertram. Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) in Dresden und der Norddeutsche Rundfunk (NDR) in Schwerin überprüfen zwar auch, aber nur die Festangestellten der gehobenen Gehaltsklasse. Wie bei den anderen auch, wird beim ORB seit Anfang 92 überprüft, knapp die Hälfte aller Akten sind bereits untersucht worden, wobei sieben Stasi-Fälle bekannt wurden. Vom MDR sind 54 Prozent der Akten gesichtet worden, beim NDR fehlen nur noch zehn. Wie unterschiedlich entschieden würde, erklärte Rosenbauer, sähe man doch am Fall des Sportchefs Hagen Boßdorf. Er hätte weder im Lebenslauf noch im Fragebogen erwähnt, daß er seinen dreijährigen Wehrdienst freiwillig beim MfS- Wachbataillon „Felix Dserschinski“ absolviert hatte. Die ORB-Kommission sprach sich ob dieses „Vertrauensverlustes“ mehrheitlich für eine Absetzung Boßdorfs aus.

Intendant Rosenbauer fand dies jedoch zu hart: Er entzog dem jungen Moderator die gesellschaftspolitische Talkshow Babelsberg Live. Statt dessen dürfe er von nun an die ARD-Sportschau moderieren. Eine Abstrafung, so empfindet es Boßdorf. Er ist sich sicher, das Wachbataillon beim Bewerbungsgespräch erwähnt zu haben. „Ich nehme das hin, wie man eine Chefentscheidung hinzunehmen hat", sagte er vor der Mitarbeiterversammlung, „aber jeder, der mich kennt, weiß, daß ich die Sache nie verheimlicht habe.“

Boßdorfs Redaktion stützt ihren Chef und bestätigt in einem Brief an Rosenbauer, von Boßdorfs Wehrdienst gewußt zu haben. Andreas Hahn schrieb im Namen der Redaktion: „Die aufkommende Hysterie kann ich nicht nachvollziehen, da Boßdorf im Hinblick auf seine DDR-Vergangenheit und die Aufarbeitung dieser Zeit einer der offensivsten und selbstkritischsten Ossis war und ist.“ Der Sender indes beharrt darauf, daß der Sportchef ohnehin von der Talkshow abgezogen werden sollte. „Komisch, daß dies ausgerechnet jetzt geschieht. Mir hat man bislang davon nichts gesagt“, meinte Boßdorf.

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