„Das Viertel wird nie Bullerbü“

■ 200 Autonome, alternative, geschäftstreibende, politische und unpolitische Viertel-BewohnerInnen diskutierten auf taz-Einladung die Silvester-Randale

Wer sind die Leute, die in der Silvesternacht die Schaufensterscheiben der Schlachter und anderer Läden im Viertel eingeworfen haben? Wer findet es richtig, daß dabei auch Ortsamtsleiter Robert Bücking eine Flasche auf den Kopf gehauen wird? Und was haben die Leute für Gründe? Die Neugier, Fragen dieser Art zu beantwortet zu bekommen, ist groß. Weit über 200 Viertel-BewohnerInnen drängelten sich am Mittwoch abend in Bürgerhaus Weserterrassen, um auf der taz-Veranstaltung eine erste „Diskussion über die Silvester-Randale“ zu versuchen.

Die Neugier wurde befriedigt. Denn neben Geschäftsleuten, PolitikerInnen und vielen AnwohnerInnen der Straßen um die Sielwallkreuzung herum waren auch rund 40 junge bis sehr junge Leute gekommen, um die Silvester-Randale zu verteidigen. „Das Fest ist doch nur mit der Polizei zusammen organisiert worden, um die politische Funktion der Silvesternacht abzuschneiden“, sagte eine von ihnen. Der „sozialpolitische Sprengstoff, der sich im Lauf eines Jahres aufgeladen hat“, habe sich doch seit Jahren zu Silvester an der Sielwallkreuzung „entladen“. Damit stehe die Randale „in der Tradition von linkem Widerstand gegen Ausgegrenzte und Marginalisierte“.

Warum allerdings deshalb ausgerechnet die Scheiben von Ostertor-Geschäften eingeworfen werden mußten, konnte auch am Mittwoch abend niemand erklären. Lediglich die Gruppe der radikalen VegetarierInnen, die sich „Vegans“ nennen, rechtfertigte ihren Angriff auf die Schlachterläden. „Wer sein beschissenes Geld mit dem Tiermord verdient, hat das Recht verwirkt, sich über eingeschmissene Scheiben aufzuregen“, sagte eine Frau. Und eine andere: „Leute, die Tiere ermorden, sind Mörder. Ende“. Direkt an den in der Silvesternacht ruinierten Öko-Schlachter Groth, der ein paar Meter neben ihr saß, ging schließlich der Rat: „Du hast doch genug scharfe Messer, um Dich zu verteidigen.“

„Mir stockt der Atem, wenn so geredet wird“, sagte Ortsamtsleiter Bücking dazu. „Auch in meinem Leben hat in Brokdorf oder bei der Bombenzug-Blockade das Spiel mit der Militanz eine Rolle gespielt“, ergänzte er. Aber die Auseinandersetzungen zwischen Viertel-BewohnerInnen müßten sich unbedingt auf „zivile Mittel“ beschränken, „sonst haben wir hier bald auch eine Bürgerwehr“.

„In diesem Viertel kann keine Ruhe herrschen“, hielt ihm ein Mann entgegen. Zwar sei es „nicht die politische Linie der Autonomen, kleine Läden zu überfallen“, doch die Silvester-Randale sei eben Ausdruck des „extremen Rechtswandels“ der ganzen Gesellschaft. Und wenn dann „handgreifliche Aktivbürger“ wie der Ortsamtsleiter versuchen würden, den Ausbruch des Zorns zu verhindern, müßten sie sich nicht wundern, wenn sie dabei „einen auf die Mütze“ kriegen würden.

Der gealterten Alternativszene insgesamt hatte der Mann vorzuwerfen: „Ihr könnt es einfach nicht wahrhaben, daß sowas auch in Eurem idyllischen Viertel passiert, wo Ihr es doch so schön habt.“ Ihre „Betroffenheit“ wollte auch eine Frau den Viertel-HausbesitzerInnen nicht abnehmen: „Ihr seid doch bloß bleidigt, daß es auch hier solche Konflikte gibt.“ Doch dagegen helfe kein „Zuschleimen“: „Das Viertel wird niemals Bullerbü sein.“

Bleibt uns die Silvester-Randale also auch in den kommenden Jahren erhalten? Ein älterer Mann mittleren Alters glaubt fest daran: „Krawall ist doch auch eine Form von Party“, sagte er. Und die würde manche Leute eben auch künftig an die Sielwallkreuzung bringen. Für ihn sei das eben eine Generationsfrage: „Ich hab' meine Parties früher schließlich auch anders gefeiert als heute.“

Etwas mehr Hoffnung auf die Wandlungsfähigkeit von Menschen auch im Bremer Viertel kam dagegen aus esoterischer Richtung. Ein Feuer, wie es in den vergangenen Jahren auf der Sielwallkreuzung die Polizeieinsätze provoziert hatte, symbolisiere doch „seit Menschengedenken die Austreibung der bösen Geister“, sagte ein Mann. Das sei doch eigentlich gut, nur müsse eben die richtige Form, „das richtige Ritual“ dafür gefunden werden. Sein Vorschlag: „Ein Tanztheater zur Gewalt als Gegenstrategie zur richtigen Gewalt.“

Ob das am Mittwoch abend jemanden überzeugt hat, war nicht festzustellen. Und auch ansonsten hat sich keine Frontstellung gelöst. Aber mehr als befriedigte Neugier blieb am Ende doch. „Es war gut, daß wir überhaupt mal versucht haben, miteinander zu reden“, war am Schluß der Veranstaltung bei vielen zu hören. Ase