: Im Zweifel für die Windkraft
■ Umweltministerium Niedersachsen erklärt ostfriesische Küste für vogelfrei
Im Konflikt zwischen Windkraft und Vogelschutz in Niedersachsen haben sich die „Piepmatz-Argumente“ der Vogelschützer zurückgemeldet. Das „Niedersächsische Landesamt für Ökologie“ (NLÖ), die dem Umweltministerium nachgeordnete Fachbehörde in Sachen Naturschutz, hat eine Karte „avifaunistisch (also vogelkundlich) wertvoller Gebiete“ veröffentlicht, die einen alten behördeninternen Streit wieder neu auflegt: Welche Gebiete sind wichtig so wichtig für die Vögel, daß dort keine Windanlagen stehen dürfen? Und: Wer legt das aufgrund welcher Daten fest?
Denn dem NLÖ gilt ein etwa fünf Kilometer breiter Streifen an der gesamten Küste als potentiell wichtiges Rückzugsgebiet für Zugvögel: Windkraftnutzung soll hier nur nach strengen Kriterien erlaubt sein. Das Umweltministerium selbst jedoch hat nur einige wenige Gebiete als Schutzräume ausgewiesen und setzt im übrigen auf einen zügigen Ausbau der Windkraftanlagen an der Küste.
Mit der Veröffentlichung der Vogelkarte geht der „Kartenstreit“ in Niedersachsen in die nächste Runde. Bereits im Sommer 1994 hatte das NLÖ als zuständige Fachbehörde eine Karte vorgelegt, auf der die wichtigen Rast- und Brutplätze von Seevögeln an der Küste verzeichnet waren. Nach dem Willen von Umweltministerin Monika Griefahn sollte die Karte potentiellen Windkraft-Investoren und den zuständigen Gemeinden und Landkreisen als Entscheidungshilfe bei der Genehmigung der Windanlagen dienen. Doch die Fachbehörde lieferte einen Kartenentwurf, auf dem neben den bekannten Schutzgebieten ein etwa 5 Kilometer breiter Streifen an der Küste als „wahrscheinliches Ausschlußgebiet“ gekennzeichnet war: Dies seien Bereiche, in denen „die Belange des Vogelschutzes gegenüber den Belangen des Vorhabenträgers wahrscheinlich überwiegen und ein ornithologisches Gutachten erforderlich ist“. Zu deutsch: keine Windkraftanlagen bis Kilometer 5 hinter dem Deich.
Das paßte dem Umweltministerium überhaupt nicht. Schließlich hat Niedersachsen ein ehrgeiziges Windkraft-Programm aufgelegt, um seine heute 200 MW Stromleistung aus dem Wind bis zum Jahr 2005 auf insgesamt 1300 MW zu vergrößern. Aus „fachlichen Gründen“ bedürfe diese erste Karte einer Überarbeitung, hieß es in einem internen Brief des Umweltministeriums an den Leiter des NLÖ: Die 5-km-Linie sei zu streichen, ein ornithologisches Gutachten nur in Ausnahmefällen erforderlich.
Also wurde die Karte geändert: Auf der nunmehr gültigen zweiten Karte fehlt die 5-km-Zone. Eingetragen sind nur eng umrissende Gebiete, in denen Windkraftanlagen nicht zulässig sind. Weite Teile der Landkreise Aurich und Wittmund dagegen sind auf dieser Karte fast völlig frei von Schutzgebieten und laden somit zur Windkraftnutzung ein. Eben dieses Gebiet taucht nun auf der „Vogelkarte“ des NLÖ wieder als eigene Zone auf. Vermerk: „Zusammenhängende Vogellebensräume, die aufgrund noch lückenhaften Datenmaterials nicht abschließend bewertet werden konnten.“
„Die Vogelkarte hat mit der Windkraftkarte nichts zu tun“, versichert treuherzig Erich Bierhals, stellvertretender Abteilungsleiter für Naturschutz im NLÖ. Als Mitglied der Behörde, die dem Umweltministerium direkt unterstellt ist, wählt er seine Worte vorsichtig. Die Vogelkarte sei eine unverbindliche Fachkarte, die den Kreisen und Gemeinden die Arbeit erleichtert solle. Bei der Entscheidung über Windenergie-Standorte müßten die Behörden dann eine Abwägung treffen. „Aber im Prinzip wäre es schöner, wenn in der 5-Kilometer-Zone nichts an Windkraft passieren würde. Es gibt genügend windgünstige Standorte außerhalb dieser Zone.“
Das grundlegende Problem beim Streit um die Karte ist das fehlende Datenmaterial: Die Angaben über brütende und rastende Vögel im Gebiet hinter dem Deich werden zu 95 Prozent von ehrenamtlichen Ornitholgen und Vogelkundlern erhoben. Die aber blicken vom Deich immer in die falsche Richtung, : nämlich ins Watt, wo sich normalerweise die Vögel tummeln. Bei schlechtem Wetter zählt aber kein Hobby-Ornithologe die Vögel, die sich hinter den Deich flüchten. Das Resultat: Dem NLÖ fehlen die Daten. Erfahrungswerte zeigten aber, meint das NLÖ, daß das Gelände ein wichtiges Rückzugsgebiet sei.
„Mit solchen Vermutungen können wir aber keine hieb- und stichfeste Karte begründen“, sagt Uta Kreutzenbeck vom Umweltministerium in Hannover. „Die vorliegenden Daten geben das einfach nicht her.“ Schließlich gehe es darum, den Gemeinden Karten zu liefern, an die die sich bei der Planung von Windanlagen halten könnten. Die Behörden vor Ort seien immerhin verpflichtet, gemäß dem Naturschutzrecht in einer Einzelfallprüfung eine Abwägung bei den Eingriffen in die Natur vorzunehmen. Die Karte entbinde die Gemeinden und Kreise nicht davon, die vorliegenden Daten selber zu bewerten.
Das allerdings sieht Monika Griefahn wohl anders. In einem Brief vom 25.Oktober an die Landkreise führte die Umweltministerin aus: „Die örtlichen Behörden können anhand der Karten die vogelkundliche Bedeutung des jeweils in Frage stehenden Gebietes auf einen Blick erfassen. Aufwendige avifaunistische Einzeluntersuchungen sind nicht mehr notwendig.“ Umweltschützer an der Küste und NLÖ befürchten, daß die Karte mißverstanden wird: „Alle Gegenden, wo auf der Karte nichts eingetragen ist, werden als vogelfreies Gebiet empfunden“, heißt es.
Außerdem bestehe die Gefahr, daß mit dieser Karte der Bock zum Gärtner gemacht werde: Denn der Trend geht dahin, Windkraftanlagen über Flächennutzungs- und Bebauungspläne auszuweisen. Und in dem Fall ist die Gemeinde die entscheidende Behörde. Dieselbe Gemeinde profitiert aber von der Gewerbesteuer der Windanlagen. Per Gesetz sind die Gemeinden zwar verpflichtet, auf eigene Kosten die fehlenden Daten zum Beispiel über wichtige Vogelschutzgebiete zu erheben. Dieser Verpflichtung kämen sie allerdings nur sehr zögerlich nach, heißt es aus dem NLÖ. „Das geht oft nach dem Motto: Kennen wir nicht, brauchen wir nicht.“ Die Naturschützer befürchten, daß wichtige Brut- und Rastgebiete für Vögel in den nächsten Jahren zu Windparks werden könnten.
Ein „Mißtrauen“ gegenüber den Gemeinden macht Uta Kreutzenbeck bei den Naturschützern aus. „Wir wollen das nicht von oben verordnen, die Gemeindenkönnen das im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung allein entscheiden.“ Das Mißtrauen der Naturschützer ist vielleicht berechtigt: An zwei Standorten haben die örtlichen Behörden sich bereits nicht um die Meinung des Umweltminiteriums gekümmert: In Dornum und Westermarsch drehen sich Windanlagen mitten in ausgewiesenen Vogelschutzgebieten.
Bernhard Pötter
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