: Das Licht am Ende des Holzwegs
■ Neuer Mut bei der Auswahl zum „Bremer Förderpreis für Kunst“: Junge, frische Ansätze honoriert
Nun haben sie sich mal ein Herz gefaßt, die Bremer Kunstfachleute: Junge Kunst bestimmt die Schau zum „Bremer Förderpreis für Bildende Kunst“ – das heißt; junge Künstlerinnen und Künstler mit frischen Ansätzen wurden diesmal ausgewählt und honoriert. Und eine wirklich herausragende Arbeit wird heute mit dem Förderpreis in Höhe von 10.000 Mark bedacht. Ein Medienkunststück des 28 Jahre alten Bremers Andreas Schimanski; mit einer konsequent einfachen Form und mit vielschichtigen Möglichkeiten zur (Selbst)-Reflexion für die Betrachter hebt sich Schimanskis Video-Installation klar von der braven Traditionsmalerei ab, die das Bremer Kunstleben jahrzehntelang zu dominieren schien.
„Spitzenförderung“ – das Wort wurde allerdings selbst auf der Pressekonferenz der Wettbewerbs-Initiatoren nur ungern in den Mund genommen. In einer Stadt, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten eher einer Art Breitensportförderung der Künste verschrieben hatte, stellt die diesjährige Entscheidung für eine kleine, feine Kunstauswahl einen besonders mutigen Schritt dar. Über das Votum der Jury wird es wohl noch einige Diskussionen unter den kunstinteressierten Bremern geben, das deutete Hans-Joachim Manske als Leiter der Städtischen Galerie schon mal an. Denn das akademische Mittelmaß bleibt diesmal außen vor. All die brave Malerei und Plastik, wie sie immer noch u.a. dem Umkreis der Kunsthochschule entspringt – ihr gab die Jury keinen Blumentopf mehr.
Aus den 107 Bewerbungen wählten die Fachleute keinen repräsentativ-langweiligen Querschnitt aus, sondern die wenigen, wirklich interessanten Grenz- und Sonderfälle – Positionen, „wo sich die größte Bewegung findet, wo sich noch nichts gefestigt hat“, sagt Manske. Neun solcher Positionen, den Preisträger eingeschlossen, sind ab heute abend in der Galerie zu erleben.
Mit dem steinernen Realismus Altbremer Maltraditionen hat die Arbeit des diesjährigen Preisträgers denn auch wirklich nichts mehr zu schaffen. Entschiedene Formstrenge und eine offene Konzeption prägen Schimanskis Video-Installation: Ein halbdurchlässiger Spiegel, frei in den Raum gehängt, in dem die Betrachter sich gleich zweimal sehen – als reales Spiegelbild und als mediale Live-Übertragung. Beide Abbilder sind perfekt übereinandergeblendet. Aus den leichten Verzögerungen bei der Übetragung ergibt sich ein spannungsreiches Spiel zwischen medial und real erlebter Wirklichkeit; ein Spiel, bei dem die Betrachter/User ganz auf sich selbst und ihre Phantasie gestellt sind.
Der Künstler selbst hinterläßt nur noch schemenhafte Spuren in diesem Werk. Als geisterhafte Projektion taucht Schimanskis nackter Athletenkörper ab und an im Bilde auf, mischt sich unter die Leute bzw. deren Spiegelbilder, um sie nicht ganz allein ihrem narzistischen Spiel zu überlassen.
Damit hat Schimanski das Thema „Selbstreflexion“ ziemlich bildhaft und wörtlich auf den Punkt gebracht. Daß er sich dabei der (nicht mehr ganz so) neuen Medien bedient, ist bei ihm kein Modetick: „Das mediale Bild ist viel wichtiger als das reale“, sagt er; „damit können die Leute doch mehr anfangen als mit einem realem Raum.“ Das klingt nun zwar hübsch plakativ und weltweise. Aber der Trick funktioniert ja wirklich. Schimanski baut einfach auf den bekannten Effekt, den es vor dem Schaufenster einer jeden besseren Fernsehfachhandlung zu beobachten gibt. Der Bildschirm zieht die Menschen an, umso mehr, als sie mal selbst drin vorkommen. Was Schimanskis Installation auf diesem genial einfachen Wege noch so alles mitliefert, ist umso erstaunlicher: Fragen über Wirklichkeit und Abbild, über das Eigenleben elektronischer Medien, über die Lust an der Selbstdarstellung.
Das ist umso verdienstreicher, als solche Fragen dem Publikum hier mal nicht massiv eingetrichtert werden. Der Künstler hält sich diskret zurück. Und auch die teure Technik tritt in den Hintergrund, zugunsten des Publikums. Hier wird der Anspruch vom „interaktiven Kunstwerk“, das die Betrachter einbezieht, mal ohne große Mätzchen eingelöst. Drücke hier ein Knöpfchen, wähle dort eine Option: Nach diesem Muster wurden Medienkunstbetrachter in den vergangenen zehn Jahren auf das Niveau von Gameboy-Glotzern heruntergestutzt, wenn es um interaktive Kunsterke ging. Im besten Fall wurde man durch „virtuelle Realitäten“ gejagt, die jenseits von Zeit und Raum wenig mehr als bunte Werbegrafiken aufzubieten hatten. Arbeiten wie die von Schimanski zeigen, daß es Licht am Ende solcher Holzwege gibt. Wo die Medienkunst sich von ihren abgehobenen Techniktrips löst, gewinnt sie wieder Bodenhaftung – und sei es in der Medienwirklichkeit.
Thomas Wolff
Ausstellung zum Bremer Förderpreis, bis 5.2. in der Städtischen Galerie (Buntentorsteinweg 112); Eröffnung und Preisverleihung am heutigen Samstag um 19 Uhr
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