■ Gemeinsame Plattform der algerischen Opposition: Die Weichen sind neu gestellt
Noch ist es ein weiter Weg zu einem Frieden in Algerien. Die „Plattform für eine politische und friedliche Lösung der algerischen Krise“, auf die sich die Opposition des Maghreb-Staates in Rom geeinigt hat, läßt viele Fragen offen, und die wenigen Pflöcke, die eingeschlagen wurden, laden zum Stolpern ein. Trotzdem hat sich in der italienischen Hauptstadt eine Wende angebahnt. Bislang ging die Offensive für eine politische Lösung immer vom Regime aus, das die islamistische Opposition vor drei Jahren um ihren Wahlsieg geprellt hat: Nach dem Staatsstreich bildete der von den Militärs eingesetzte und schon kurz danach ermordete Präsident des Hohen Staatsrates, Muhamed Boudiaf, einen Konsultativrat, der keine Gesetze erlassen, dafür aber die Macht beraten durfte. Später gründete das Regime eine „Nationale Kommission des Dialogs“, im letzten Jahr schließlich einen „Nationalen Rat des Übergangs“. Und im Herbst schien die Regierung sogar zu Verhandlungen mit der FIS bereit, entließ ihre beiden wichtigsten Führer aus dem Gefängnis in den Hausarrest, erklärte aber schon alsbald das Scheitern des Dialogs. Die Bemühungen blieben fruchtlos, weil es dem Regime weniger um Demokratie ging als um seine Pfründe. Und um diese zu retten versuchte sie, die Gesellschaft und die politischen Kräfte gegen die FIS zu organisieren, sie zu spalten und einen Teil subaltern zu integrieren. Vergeblich.
In Rom wurden die Weichen neu gestellt. Nun hat die Opposition die Initiative an sich gerissen. Sieben Parteien aus dem islamischen und aus dem demokratischen Lager, die bei den Wahlen vor drei Jahren zusammen über 90 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielten, haben das Regime herausgefordert. An diesem Bündnis vorbei werden die Machthaber keine politische Lösung mehr finden können. Die demokratischen Parteien werden die Militärs zwingen, die FIS als Verhandlungspartner zu akzeptieren. Die Alternative zu diesem Weg hat 40.000 Tote gekostet und ist gescheitert.
Natürlich besteht das Risiko, daß die FIS über Wahlen auf demokratischem Weg einen Gottesstaat errichten will. Aber die Chancen, sie gegebenenfalls auf demokratischem Weg bremsen zu können, stehen heute besser als vor drei Jahren. Zudem müssen diese Chancen gegen die Gefahren aufgerechnet werden, die mit einer Fortsetzung des Kriegs verbunden sind. Jede demokratische Perspektive würde weiterhin abgewürgt mit katastrophalen sozialen, psychischen und wirtschaftlichen Folgekosten. Und selbst dann wäre eine Erosion der Armee – ähnlich wie vor 16 Jahren im Iran geschehen – nicht auszuschließen, was zur gewaltsamen Einführung einer Theokratie führen könnte. So hat Algerien nur noch die Wahl zwischen kleineren und größeren Übeln. Und auch wenn es zu einer nationalen Aussöhnung zwischen islamischem, demokratischem und militärischem Lager kommt, wird das Land mit dem Terrorismus radikaler Islamisten noch eine Weile leben müssen – als Strafe für die späte Einsicht der Machthaber. Thomas Schmid
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