Föderale Republik Großbritannien

■ Neue Regionalisierungsvorschläge der Labour Party machen die Einheit des Königreichs zum Wahlkampfthema

London (taz) – Wider Erwarten ist nicht die europäische Einheit das Thema, mit dem sowohl Torys als auch die oppositionelle Labour Party die Parlamentswahlen in zwei Jahren gewinnen wollen: Was die Gemüter in Großbritannien erhitzt, ist die Einheit des Vereinten Königreiches selbst.

Im Dezember hatte die Labour Party zunächst das Projekt eines eigenen Parlamentes für Schottland zur vordringlichen Aufgabe nach dem erwarteten Wahlsieg erklärt. Lediglich die Verteidigungs- und Außenpolitik sowie zentrale wirtschaftliche und steuerpolitische Entscheidungen sollen London vorbehalten bleiben. Ziel ist es laut Labour-Chef Tony Blair, den „Quango-Staat“ zurückzuschrauben, wo die Entscheidungen „bei privaten Verwaltungsorganen liegen, die mit Tory-Statthaltern vollgestopft sind und niemandem gegenüber verantwortlich“ seien. Im Mai will die Labour Party ihre Regionalpläne für Wales vorlegen, im Juli soll die Regionalstruktur für England mit vergrößertem Einfluß für die Bezirksverwaltungen bekanntgemacht werden.

Premierminister John Major ist fest davon überzeugt, Blairs Achillesferse entdeckt zu haben. Labours Vorhaben sei „der gefährlichste Vorschlag, der dem britischen Volk je vorgelegt wurde“, erklärte Major am Donnerstag im Unterhaus. Er warnte davor, ein schottisches Parlament mit der Erhebung zusätzlicher Steuern – Labours Plan sieht bis zu drei Prozent vor – zu bevollmächtigen, da London in diesem Fall seine Zuschüsse zurückschrauben müßte. Die logische Folge eines schottischen Parlaments, so Major, sei die Verringerung der Zahl schottischer Abgeordneter in Westminster, die darüber hinaus „von englischen innenpolitischen Entscheidungen“ ausgeschlossen werden müßten. Der Premierminister malte ein düsteres Szenario an die Wand, bei dem „Schotte gegen Schotte“ kämpft und das Ende der Union von 1707 unausweichlich sei. Blairs Hinweis, daß die Regionalisierung ein fester Bestandteil des Tory- Parteiprogramms von 1974 war, quittierte Major mit der Bemerkung, daß er damals noch gar nicht im Unterhaus saß.

Ob Major mit seiner „Rettet- die-Union-Politik“ verlorenen Boden gutmachen kann, ist fraglich. Labours Vorsprung beträgt nach neuesten Umfragen inzwischen 43,5 Prozent (!), und bei derselben Umfrage kam heraus, daß 51 Prozent der Befragten ein schottisches Parlament befürworten. Nicht mal ein Drittel sprach sich dagegen aus. Die Schottisch-Nationale SNP bezeichnete die Labour-Pläne als völlig inadäquat, räumte aber ein, daß man im Zweifelsfall wohl dafür stimmen werde. „Eine Scheibe Brot ist besser als nichts“, sagte der SNP-Vorsitzende Alex Salmond.

Die Debatte um Dezentralisierung hat die Europafrage vorübergehend in den Hintergrund gedrängt. Major ist nicht der einzige, der Probleme mit „Euro-Rebellen“ in der eigenen Partei hat. Labour-Chef Blair ergeht es nicht viel besser: Ausgerechnet am Tag seiner ersten Brüssel-Reise seit seinem Amtsantritt erschien in britischen Zeitungen eine Anzeige, in der die Mehrheit der 62 Europa- Abgeordneten der Labour Party ihren Parteichef heftig dafür kritisierten, daß er die „Clause 4“ abschaffen will – die identitätsstiftende sogenannte „Staatseigentumsklausel“ im Labour-Programm. Blair beschimpfte seine Rebellen in einem Wutausbruch als „infantil und inkompetent“. Auf einem Sonderparteitag Ende April muß die Partei über „Clause 4“ entscheiden. Ralf Sotscheck