: Rechtsliberale im Abseits
Die Berliner FDP distanziert sich auf ihrem außerordentlichen Landesparteitag vom rechten Stahl-Papier / Landesliste wurde knapp abgelehnt ■ Aus Berlin Severin Weiland
Der Berliner FDP-Landesvorsitzende Günter Rexrodt konnte sich am Samstag bei seiner Stippvisite in der Hauptstadt über eines nicht beklagen: Langeweile. Noch bevor er am Samstag abend auf dem Presseball im ICC mächtig ins Schwitzen geriet, hatte ihm bereits wenige Stunden zuvor seine Partei gleich mehrere Adrenalinstöße verpaßt.
Für den diesmal ungewohnt kämpferischen Rexrodt hatte der außerordentliche Landesparteitag eigentlich gut begonnen. Noch am frühen Nachmittag sah es so aus, als hätte er die 338 Delegierten im Ostberliner „Haus am Köllnischen Park“ auf seine Seite gezogen. Ein vom Landesvorstand überraschend eingebrachter Antrag gegen das von Parteirechten formulierte Thesenpapier war von einer breite Mehrheit abgelehnt worden. Die Verfasser um den Ex-Generalbundesanwalt Alexander von Stahl wurden aufgefordert, in der Öffentlichkeit klarzustellen, daß ihr Positionspapier nicht durch die Gremien der Landes- und Bundespartei gebilligt werde.
Doch nur wenige Stunden später war das Hochgefühl bei Rexrodt verflogen. Ausgerechnet beim Hauptthema, der Einführung einer Landesliste für die Abgeordnetenhauswahlen im Oktober, wurde die notwendige Zweidrittelmehrheit für eine Satzungsänderung um elf Stimmen verfehlt. Offiziell hatten Rexrodt und eine Mehrheit des Landesvorstandes dies mit der Chancengleichheit für die schwachen Ostbezirke begründet. Dagegen befürchtete vor allem der konservative Flügel — der in mehreren Bezirksverbänden über gute Ausgangspositionen für die nächsten Wahlen verfügt — auf einer Landesliste auf ungünstige Plätze verwiesen zu werden. Nun wird die Berliner FDP – wie schon bei der letzten Abgeordnetenhauswahl vor fünf Jahren – wieder mit Bezirkslisten antreten. Axel Kammholz, Fraktionsführer im Abgeordnetenhaus, hatte aus seiner Ablehnung gegen die Rexrodt- Linie in einer zähen Debatte keinen Hehl gemacht: Statt „Vielfalt der Partei“ führe die Landesliste nur zu „starker Zentralisierung“.
Die ehemalige Landesvorsitzende Carola von Braun, die in den letzten Wochen den Haß des rechten Flügels auf sich gezogen hatte, als sie vor rechtsradikaler Unterwanderung mehrerer Bezirksverbände warnte, konnte sich über den Ausgang des Parteitages nicht so recht freuen. Zwar war die Stahl-Gruppe dank des von ihr mitinitiierten Antrages öffentlich in die Schranken verwiesen worden. Doch die Gefahr eines rechtskonservativen Durchmarsches ist in den Augen der Linksliberalen keineswegs gebannt. In mindestens vier Bezirken, so erklärte sie am Rande des Parteitages gegenüber der taz, würden aller Voraussicht nach nationalliberale Kandidaten die Spitzenplätze der Bezirkslisten bekleiden, in einem weiteren Fall sei der Ausgang des Machtkampfes noch ungewiß. „Es kommt in den nächsten Wochen entscheidend darauf an, daß die Mitglieder vor Ort sich ihre Kandidaten sehr genau ansehen“, mahnte sie ihre Parteifreunde an. Von den acht Kandidaten, die bei einem Ergebnis von knapp über fünf Prozent für die FDP erneut ins Abgeordnetenhaus einziehen, könnten die Rechtskonservativen fünf Sitze einnehmen, befürchtete von Braun. Ohnehin scheint der Berliner Landesverband mit seinen rund 3.400 Mitgliedern am Samstag nur eine Atempause im internen Machtkampf eingelegt zu haben. Wolfgang Mleczkowski, Abgeordneter und einer der Mitverfasser des rechten Stahl-Papieres, nahm die Niederlage gelassen hin. „Warten wir einmal die Wahlen in Hessen und Nordrhein-Westfalen ab, dann werden unsere Thesen wieder auf der Tagesordnung sein“, frohlockte er in der Caféteria. Die öffentlichen Reaktionen auf ihr Papier zeigten doch nur die Dramatik, in der sich die FDP befinde. Es gehe, so der Rechtsliberale, gar „nicht um Personen, sondern um die Bewältigung einer Strukturkrise“. Die FDP müsse sich „selbst wiederfinden“. Für Mleczkowski heißt das unter anderem „Demokratie und Nation wieder zu versöhnen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen