: Alle dürfen alle wählen
■ Innenminister Gerhard Bökel (SPD) über ein neues Wahlrecht
Ab 1996 sind die Zeiten vorbei, in denen über einen großen Teil der Steuerzahlerköpfe hinweg in den Gemeinden regiert werden konnte. Die EU hat mit dem Vertrag von Maastricht das kommunale Wahlrecht für Ausländer aus Mitgliedsstaaten eingeführt. Sie können künftig wählen – und gewählt werden. Jedem EU-Mitgliedsland ist es anheimgestellt, auch auf das höchste politische Amt in den Gemeinden ausländische Mitbürger zu wählen. Da in der Bundesrepublik kommunales Wahlrecht Ländersache ist, kann sich jedes der 16 Bundesländer anders verhalten. Wenn es nach dem hessischen Innenminister Gerhard Bökel geht, gibt es demnächst ausländische Bürgermeister und Kreisvorsteher.
taz: Herr Bökel, Sie müssen innerhalb dieses Jahres die EU-Richtlinien verwirklichen. Wie wird sich Hessen in dieser Frage festlegen?
Gerhard Bökel: Ich fordere zusätzlich, daß man auch EU-Bürgern die Möglichkeiten schaffen muß, im exekutiven Bereich tätig zu werden, das heißt als haupt- und ehrenamtliche Stadträte oder Kreisbeiräte, aber auch als Landrat respektive -rätin, Bürgermeister oder Bürgermeisterin zu kandidieren. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, EU-Bürgern diese Chance zu eröffnen. Wir bereiten dazu eine Änderung des Kommunalwahlgesetzes in Hessen vor. Die hessischen Bürgerinnen und Bürger wählen ihre Stadtoberhäupter und Landräte ohnehin direkt. Die Entscheidung liegt also unmittelbar in deren Händen. Warum soll sich ein Engländer oder ein Franzose nicht auch um dieses Amt bewerben dürfen?
Hessen ist das erste Bundesland, das sich klar für das uneingeschränkte passive Kommunalwahlrecht der EU-Ausländer ausspricht. Wird dieser Konsens bundesweit zu erreichen sein?
Zumindest die SPD-Länder werden damit, hoffe ich, keine großen Probleme haben. Ich kann mir eigentlich überhaupt nicht vorstellen, daß irgend jemand diese Auffassung nicht teilt.
Unterhalb des Unionsäquators wird es trotzdem den einen oder anderen Sturkopf geben. Was ist mit Bayern?
Auch ein CSU-Ministerpräsident Stoiber wird es sich kaum leisten können, diese Chance zu versäumen. Wie soll die Politik denn diese Ausgrenzung schlüssig begründen: Auf der einen Seite das aktive Wahlrecht, auf der anderen die Weigerung, Ausländer in hauptamtlichen Ämtern vertreten zu sehen? In jedem Fall würde es in manchen Gemeinden erhebliche Stimmen kosten. Wähler können sehr nachtragend sein! Wenn ich diese Möglichkeit in Hessen nach der Wahl als Gesetz einbringe, habe ich überhaupt keine Zweifel, daß sie eine breite Zustimmung finden wird. Denn wer will die Bürger als Wähler entmündigen, zu bestimmen: wir wollen den Menschen oder die Person, ob nun Engländer, Italiener, Grieche oder Franzose, auf den wichtigsten Posten hieven. Es wird ja sowieso der Ausnahmefall bleiben. Aber warum wollen wir uns den nicht leisten? Ich finde es eine spannende Frage.
Es würde Sie nicht stören, wenn in Wiesbaden, Berlin oder Frankfurt ein Herr Gonzales, eine Frau Georigos oder eine Frau De Breyn als Oberbürgermeisterin regiert?
Oder ein Hans Meierbär aus Frankfurt. Der kann ja in der Toskana demnächst auch kandidieren. Warum denn nicht? Das aktive Wahlrecht für Ausländer ist gesichert, für das passive haben die ängstlichen Eurokraten unglücklicherweise lediglich eine Ausnahmeregelung eingebaut. Man sollte doch einfach Liberalität zeigen. Ein vereintes Europa wollen wir. Dann fangen wir damit endlich an. Interview: Franco Foraci
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