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Pedantische Ambition

■ Gotisierte Weiblichkeit, Berge von Männern und andere Glam-Trophäen dieser Welt: Albert Watson betreibt "Zyklopädie" als Rahmung eines Fotografenlebens

Wenn die ganze Welt Design wäre, wäre dies Buch ihr Abdruck. Es ist enzyklopädisch angelegt, mit gefundenen Dingen und gehüteten Objekten, nackten Körpern und drapierten, angefangenen Geschichten und durchgeblätterten Parabeln. Es gibt hier Leute, die immer eingeschlossen sind, weil sie an jedem Ort gesehen werden, und Leute, die niemand sieht, weil sie eingeschlossen sind.

Allerdings ist nicht die ganze Welt Design, und deshalb ist dies Buch auch nicht ihr Abdruck. Es ist enzyklopädisch angelegt, zeigt ein zerlumptes Paket aus der Wüste Nevadas und Tutanchamuns Baumwollsocke, Sade als low-key Pin-up und einen Schal von Gianfranco Ferré als einziges Kleidungsstück einer gotisierten weiblichen Gestalt. Aber die Antinomien taugen nichts.

Sie sind Trophäen aus einem Fotografenleben, das beileibe nicht vorüber ist, aber hier schon mal abgesammelt wurde nach Resten und Schaustücken. Albert Watson heißt der Fotograf, der angeblich nur ein funktionierendes Auge hat, weshalb das Buch – gewissermaßen nach seiner Spezies – „cyclops“ heißt, im Plural. Watson, geboren in Schottland (ich rate mal: um 1940–45), ist einer der zweifelsohne gefragten Fotografen der Modeszene (und ebenso sorgfältiger Chronist der Popkultur, etwa mit seinen Aufnahmen für den US-amerikanischen Rolling Stone. Jemand mit einem entschiedenen Stilgefühl für die Form, die er wählt. Sie wird makellos inszeniert. Dort endet die pedantische Ambition.

Dieses Buch zeigt die Wunder in Schwarzweiß, und das ist auch der Schlüssel zu dieser Welt, die keine ist. Das Schwarzweiß vereinheitlicht die Bildern, während die Präsentation sie auffaltet zu einem Epos.

Der Aufwand, der hier getrieben worden ist, ist enorm. Es gibt seitenfüllende Fotos und großzügig gerahmte, sogenannte freigestellte (Objekt ohne Hintergrund) und in Serie montierte und eine theatralisch durchdeklinierte Typographie mit Anleihen beim Konstruktivismus und beim Punk. „Kuenstler Script“ heißt eine von rund 45 leicht überkandidelten Computerschriften, die zur Anwendung kamen, „Fuckedskinny“ eine andere. Fast keine Referenz an „künstlerische Gestaltung“ wird ausgelassen – das mit einer lamellenartig gefächerten Gardine verschlossene Heckfenster von „chairman mao's limousine, Beijing, June 1979“ erscheint in einem weißen, andeutungsweise gerahmten Feld mit malerischen Ausfransungen zu den Rändern hin – kleiner Trick im Labor. Ein Hauch von Rauschenberg.

Darin ist Albert Watsons Buch ein bißchen bescheidener als der foto-/typographische Ausstoß von Madonna, den der gleiche Verlag vertreibt: Es geht schon um die Re- inszenierung einer fotografischen Vision, nicht einer irgendwie darüber angesiedelten Message. Sowohl die Bilder als auch ihre Auswahl, ihre Folge, ihre Ordnung in Pendants, ihre Größe und ihre Rahmung sollen von einem Fotografenleben erzählen, das alle und alles einschließt, das Naheliegende und das Exotische, das Intime und das Geschichte Gewordene, das Ultraschicke und das politisch Korrekte: eine Fabel, die niemals aufgeht. Es gibt all das, aber keiner hat dieses eine Auge, das all das sieht.

Fotografieren kann man es schon, in Farbe für den Auftraggeber und für das Künstlerimago in schwarzweiß. Aber Watson beherrscht nur die Perspektiven, seine Motivwelt ist die seiner Stylisten – die, anders als alle am grafischen und am Druckprozeß Beteiligten, nicht genannt werden. Die Modewelt regiert bis tief hinein in seine Reflexe, seine Aufmerksamkeit.

Diesen Zwang, Lebendiges zu überführen in Amorphes, hat er von seinem offensichtlichen Vorbild, Irving Penn. Zum Tode Verurteilte in Louisiana als Mapplethorpesche Body-Ikonen: Man darf, zur Abwechslung, durchaus mal kotzen.

Der (technisch gesehen) einheitliche Zugriff auf Fotografie und Typographie, der makellose Druck, die Belebung der Seitenfolge durch hell und dunkel, transparent und dicht, massig und filigran macht das Buch zu einem Ereignis – als Buch. Als Beispiel von Design. Aber nicht als Erzählung von den Dingen dieser Welt. Sie sind woanders. Ulf Erdmann Ziegler

Albert Watson: Cyclops. US-Ausgabe mit deutscher Textbeilage. Design D. Carson. Filmlitho von R. Benson, Druck bei Heritage Press, Dallas, Texas. 192 S., 250 Abb. in Viertondruck (2 x schwarz, 2 x grau). Schirmer/Mosel, 128 DM

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