: Unorte: Standortdesign Von Claudia Kohlhase
Also wenn Sie mich fragen, dann ginge man besser in einen Kiosk als in eine Design-Ausstellung. In einem Kiosk gibt's schließlich auch eine ganze Menge Dinge, und trotzdem muß man sich nichts dazu denken oder geflissentlich genauer hinsehen, um dann doch nur Leibnizkekse zu erkennen. Eben wie bei Design-Ausstellungen, wo vom Konnotationswert her meist auch nicht mehr hängt als Leibnizkekse. Jedenfalls bei Design-Ausstellungen in Versicherungsräumen, wo sonst nur Versicherer rumsitzen, auf einmal aber verblüffende Kaffeekännchen stehen, von denen entzückte Vorstandsvorsitzende glauben, sie seien surreal.
Vorstandsvorsitzende sind aber auch nur Menschen, trotzdem natürlich ein bißchen was Schickes, und passen toll zu ihren hyperrealen Vorstandsräumen und auch zum Design, egal, was jetzt genau. Dazu ist Design zu sehr Standortfaktor, um das wissen zu sollen. Sozusagen ein sagenhafter Standortfaktor, und zwar auch wieder einfach so, ohne Grund; und wenn mit Grund, dann ohne unser Wissen. Weswegen sollten sich sonst Vorstandsvorsitzende verblüffende Kaffeekannen oder Lampen mit Krücken ins Foyer stellen, wenn so was einen Grund hätte? Reicht es nicht, daß sie auch noch verblüffend sichere Reden dazu halten, die vom Standortfaktor nur so handeln? Außerdem steht drum herum standortreich das Volk und hat vor Wonne das Atmen vergessen: daß es aber auch solche Kaffeekannen zuzüglich solcher Vorstandsvorsitzenden gibt! Das genügt doch schon als Grund, daß alle, die hier sind, hier sind! Was muß da wieder jemand meckern! Und Anlässe gibt's im Leben genug, also doch nicht hier auch schon wieder. Außerdem sind diese Kaffeekannen verblüffend.
Ah, da kommt gekonnt versiert der Herr Kurator, Applaus, dankedanke, leider ist der Künstler abwesend oder schon tot, meine Damen und Herren, ist das nicht einschlägig surreal? Tot, obwohl seine Objekte hier sind! Im Grunde der Beweis für den Standortfaktor, es lebe der Standortfaktor! Das Volk, ausgewiesenes Publikum, schwappt vor Ergriffenheit über, der Vorstandsvorsitzende lacht für alle Fälle. Hinter ihm Bezirksvorsitzender Knippel versteht nicht viel von Design, aber nachher gibt's Wein, also wird's schon stimmen.
Dabei ist Herr Knippel vor Ort eventuell der Wichtigste – Herr Knippel, der vor zwei Jahren in diese Stadt kam und bloß deswegen hier so stehen kann, weil Kultur so ein Standortfaktor ist! Nicht auszudenken, wenn noch viel mehr Knippels an allen Enden der Welt ihre Aktenkoffer packten, um in diese Stadt zu ziehen, die solche Versicherungsvitrinen hat! Ist aber wirklich Herr Knippel der Wichtigste bei einer Design-Ausstellung? Als wenn Herr Knippel wegen verblüffender Kaffeekännchen hierher gezogen wäre! Ist das Design dann das Wichtigste? Seit wann können zackige Kaffeekännchen Herrn Knippels und unseren Geschmack beeinträchtigen! Selbstverständlich ist die Versicherung die Wichtigste. Schließlich läuft das Volk ihr die Bude ohne erkennbaren Krankenstand ein. Aber solange man dabei stehen und trinken kann, tut ja nichts weh, erst recht nicht Design. Und tut mal was weh, kann man sich ja gleich dagegen versichern lassen, etwa wenn die Kaffeekannen ausgingen und unsichere Kunst käme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen