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„Unsere Kirche wird zur totalitären Sekte“

■ Pater Gleb Jakunin über die Notwendigkeit einer Reform der russisch-orthodoxen Kirche und den Zorn Gottes, den Vizepräsident Alexander Ruzkoi im Oktober 1993 auf sich zog

Der Pater, Duma-Deputierter und gestandener Verteidiger der Menschenrechte, Gleb Jakunin (51), gehörte zu den eher seltenen Dienern der russisch-orthodoxen Kirche, die sich schon zur Zeit des Kommunismus für deren Freiheit einsetzten. Auf dem jüngsten Konzil forderte ihn die Kirche zur Buße auf. Er trägt nämlich weiterhin sein Ornat, obwohl ihn schon 1993 der „Heilige Synod“ seines Amtes enthob – angeblich wegen damit unvereinbarer politischer Betätigung. Patriarch Alexij II. bat kürzlich den Duma-Vorsitzenden Iwan Rybkin, Jakunin das unbefugte Tragen von Kreuz und Kutte im Parlament zu verbieten. Jakunin antwortete darauf mit dem Hinweis, daß die Gesetze der Kirche und des Staates in Rußland nicht identisch seien: „Um mich auszuziehen, müßt ihr erst die Verfassung ändern.“ Falls er sich nicht einsichtiger zeigt, droht ihm das Anathema. Er befände sich dann in guter Gesellschaft – als letzten traf es den Grafen Leo Tolstoi.

taz: Wie verarbeitet die russisch-orthodoxe Kirche nach 70 Jahren Isolation die Konfrontation mit der christlichen Außenwelt?

Gleb Jakunin: Unsere Kirche neigte schon immer dazu, sich von der Gesellschaft abzuwenden, anstatt aktiv in ihr zu wirken. Statt dessen propagierte sie den Asketismus, die Konzentration des einzelnen auf die Vervollkommnung seiner Seele durch Fasten, Beten, Meditieren. Ich selbst habe zu denen gehört, die schon 1990 im damaligen Obersten Sowjet der UdSSR ein „Gesetz über die Gewissensfreiheit“ durchsetzten. Das gab der Kirche alle Möglichkeiten zur Mission, zum Wirken in Schulen...

Daß sie das erst vier Jahre später, vor ihrem jüngsten Konzil, gemerkt hat, zeigt in etwa, wie wichtig sie diese Dinge nimmt. Dafür sind unsere Bischöfe versessen darauf, den westlichen Missionaren den Mund zu stopfen. Um mit denen mitzuhalten, fehlt es ihnen nämlich an theologischer Kreativität. Sie scheuen sich, aus ihren Kathedralen hervorzukriechen und sich mit der Konkurrenz in eine Arena zu begeben: auf die Straße, ins Kino und ins Sportstadion.

Immerhin hat sich ja das Konzil zur Ökumene bekannt.

Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung. Ich hatte die Ehre, nach dem August-Putsch 1991 die Kirchen-Dossiers im den KGB-Archiven mit auszugraben. Und da stellte sich heraus, daß die Moskauer Patriarchie nicht nur vom KGB kontrolliert wurde, sondern praktisch als dessen Filiale fungierte. Unsere Bischöfe wurden als seine Agenten im Vatikan benutzt. Die Oberkollaborateure in unserer Kirche sitzen weiterhin auf hohen Posten. Dabei fehlt ihnen das internationale Parkett, und ohne geheimdienstliche Anleitung fühlen sie sich verwaist. Mir haben sie es ganz besonders übelgenommen, daß ich ein Gesetz initiierte, demzufolge es unseren Sicherheitsdiensten jetzt verboten ist, Geistliche anzuwerben.

Wie steht der Patriarch zu den sogenannten Fundamentalisten?

Ich glaube, daß er die Hetze gegen die Väter Alexander Borisow und Georgi Kotschetkow begünstigt hat. Wenn es junge, begabte Priester zu den Fundamentalisten zieht, so kann das – außer in persönlichem Fanatismus – auch in ihrem Ehrgeiz begründet sein. Bei aller Liberalität nach außen hin wählt Alexij seine Kader strikt unter dem Gesichtspunkt der Konservativität aus.

Ich mache übrigens auch Präsident Jelzin und die Regierung dafür verantwortlich, daß unsere Kirche allen demokratischen Prinzipien zu spotten wagt. Die innere Hierarchie wird immer strikter. Priester und sogar Bischöfe werden willkürlich eingesetzt und versetzt, ohne daß man sie selbst oder die betroffenen Gemeinden auch nur anhört. Die Gemeinde wird im neuen Kirchenstatut als „primäre Unterabteilung“ definiert. Unsere Kirche verwandelt sich zunehmend in eine totalitäre Sekte. Langfristig führt sie dieser Weg nicht in eine lichte Zukunft, sondern ins ethnographische Museum.

Versucht die russisch-orthodoxe Kirche, sich beim Staat irgendwelche Privilegien vor anderen Religionsgemeinschaften zu sichern?

Unermüdlich strickt sie an einem Gesetz, das die Tätigkeit ausländischer Missionare auf russischem Boden praktisch verbieten soll. Bei Premier Tschernomyrdin wurde zur Untersuchung dieser Frage sogar ein Komitee eingerichtet. Außerdem soll dieses Gesetz alle kirchlichen Organisationen in Rußland zwingen, sich neu registrieren zu lassen. Bei der Gelegenheit könnte man etlichen einfach die Legalität verweigern. Nach dem Sieg der Republikaner bei den letzten Wahlen in den USA hat eine Gruppe einflußreicher amerikanischer Senatoren bei Präsident Jelzin gegen dieses Vorhaben protestiert, weshalb das Ganze anscheinend erst mal auf Eis liegt. Genau dasselbe Gesetz hatte bereits im Oktober 1993 der ehemalige Vizepräsident Alexander Ruzkoi unterzeichnet, und drei Tage später wurde es gemeinsam mit dem Weißen Haus kaputtgeschossen. In meinen Augen bezeugt das den Zorn Gottes.

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