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Japans Mafia hängt die Regierung ab

■ Unzulängliche Vorbereitung behindert die Hilfe nach dem Erdbeben in Kobe / Über 3.500 Tote geborgen / Wachsende Kritik von Opfern und Medien an den Behörden: "Wozu zahlen wir denn Steuern"

Kobe (rtr) – Die alte Frau blickt entsetzt, als ihr die Wasserration zugeteilt wird. „Nur eine Tasse? Damit können wir uns nicht einmal die Zähne putzen“, ruft sie verärgert. In der Notunterkunft in Kobes fast völlig zerstörtem Viertel Higashi-Nada entlädt sich die Verzweiflung nach dem Erdbeben immer häufiger in Zorn auf die Behörden. „Wozu zahlen wir denn Steuern?“ fragen viele.

Eine Viertelmillion Menschen waren gestern in Kobe weiterhin provisorisch in Turnhallen und anderen öffentlichen Gebäuden untergebracht. Weil die Straßen durch kaputte Autos und Trümmer blockiert sind, erhalten viele Überlebende nicht genügend Nahrungsmittel. Mehr als 170.000 Häuser und Wohnungen waren ohne Strom. Zahlreiche neue Brände in der Millionenstadt behinderten die Suche nach Überlebenden. Ein Großfeuer in der Innenstadt zerstörte allein 13 Gebäude. Die Löscharbeiten wurden wiederum durch mangelnden Zugang zu Wasserstellen erschwert. Dennoch kamen in den Ruinen immer neue Leichen zutage. Nach jüngsten Angaben wurden bisher weit über 3.500 Tote geborgen.

Man könne sich nur schwer vorstellen, daß Japan eine der weltgrößten Wirtschaftsmächte sei, kommentierte die Mainachi Shimbun angesichts des Zusammenbruchs von Wasser- und Stromversorgung und von Hilfstransporten. Der Bürgermeister von Yokohama, Hidenobu Takahide, hatte der Regierung zuvor vorgeworfen, sie habe die Hilfsaktionen zu langsam anlaufen lassen. So sei die Armee nicht rasch genug in das Katastrophengebiet entsandt worden.

Nicht nur die Behörden in Kobe, auch die Einwohner wußten offenbar nicht, was im Falle eines Erdbebens zu tun wäre. „Wir dachten, erdbebengefährdet sei nur die Region Tokio“, sagt die 22jährige Motoko Harima. Sie trägt seit zwei Tagen den Schlafanzug, den sie am Dienstag morgen anhatte, als ihr Haus zusammenbrach. Keine Ahnung habe sie gehabt, daß es in Kobe Notunterkünfte für den Katastrophenfall gebe, sagt sie. Man habe Wasser und Lebensmittel nur für ein Drittel der Überlebenden, teilt die Stadtverwaltung mit. Asahi Shimbun, eine der größten japanischen Zeitungen, berichtet, die Regierung werde sich wohl bereits heute im Parlament für solche Pannen verantworten müssen. Das Vertrauen der Menschen in die Behörden scheint erschüttert. Viele Japaner waren überzeugt, daß eine Katastrophe in diesem Ausmaß in ihrem Land heute unmöglich sei und daß ausreichende Vorkehrungen getroffen seien. „Das Bauministerium hat immer beteuert, daß so was wegen der erdbebensicheren Bauweise nicht passieren könne“, sagt Analyst Jeff Young vom Wertpapierhaus Salomon Brothers in Tokio.

Wo die Behörden keine ausreichende Hilfe bieten, greifen die Menschen zur Selbsthilfe. An Häuserruinen hängen handgeschriebene Zettel, die über den Verbleib der Bewohner unterrichten. Nachbarn teilen ihre Vorräte miteinander. Zwei Rundfunkstationen strahlen rund um die Uhr Suchmeldungen aus, die Zeitungen drucken lange Totenlisten.

Den Hilfsaktionen hat sich auch die Yamaguchi-Gumi-Gang angeschlossen. Die größte der japanischen Mafiabanden, die zufällig ihr Hauptquartier in Kobe hat, bietet seit gestern Nahrungsmittel und Milchpulver an – eine Neuigkeit, die sich wie ein Lauffeuer in der zerstörten Stadt ausgebreitet hat. Schon mittags hatten sich 200 Menschen vor einer Mafia-Verteilstelle versammelt. Daß die Bande Aufgaben übernehme, für die eigentlich die Regierung zuständig sei, belege die Humanität der Organisation, meint eine Frau. „Es bleibt jedem selbst überlassen, ob er das Angebot annimmt. Ich werde es jedenfalls tun“.

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