: Kein Sinn für Après-Ski
Die bäuerliche Atmosphäre in den Pyrenäen lockt immer mehr Wintersportler an. In der Region um Font-Romeu versuchen Bewohner Skitourismus mit Umweltschutz zu paaren ■ Von Reimar Oltmanns
Schon seit mehr als acht Jahrzehnten schlängelt sich ein kleiner gelber Bummelzug mit 30 Stundenkilometern am Berghang der französischen Pyrenäen entlang durch die winterliche Skiregion um Font-Romeu. Irgendwie scheint die Zeit dort oben in jenen Gebirgsoasen stehengeblieben zu sein. Fernab vom industriellen Skizirkus Frankreichs dieser Jahre hechelt eine betagte Kokslok mit ihren Winterurlaubern vorbei an verwunschener Fassadenpracht vergessener Hotelpaläste.
Als die Schmalspurbahn im Jahre 1911 in ihrer dreistündigen Fahrt die ersten Passagiere von 415 auf 1.592 Meter hoch liegende Plateaus beförderte, da wurde der Skizug noch als Triumph der Technik gefeiert. Heute hingegen mag in den Pyrenäen wohl niemand mehr über weitere Naturzerstörungen im Sinne des Massentourismus frohlocken.
Seltsam bizarr sortiert sich hier noch scheinbar gesellschaftlich Überlebtes aus dem früheren Glanz des Fin de siècle – Atmosphären vor dem Gipfelglück. Die Dörfer im Dreiländereck Frankreich, Spanien und Andorra mit ihren massiven, auch mittelalterlichen Häusern kennen keine Hektik. Niemand, so will es scheinen, mag für Skier, Schlepplifte und Schlitten umsatzträchtige Schlagzeilen inszenieren. Eine in sich zurückgezogene Beschaulichkeit darf in den Pyrenäen noch ungestraft vor sich hindösen – noch.
Dafür trotzt der Charme der Belle Époque den hastigen Zeitläuften dezente Existenzberechtigung ab. Skulpturen oder auch Säulen entblättern vergilbte Reminiszenzen an eine Ära, als die Pyrenäen noch der diskrete Schauplatz der Romantiker waren.
Victor Hugo, Heinrich Heine und Königin Hortense grüßen fortwährend aus jenen Backsteinen; Hinweisschilder als Spurensicherung sozusagen. Und in den Dörfern kündigen unbeirrt noch Plakate den ereignisreichen Lottoabend an, bei dem es nunmehr einen Mikrowellenherd, einen Schinken oder wie eh und je ein Federbett zu gewinnen gilt.
Überhaupt erinnert das Hochgebirge der Pyrenäen an der französisch-spanischen Grenze mit seinem vom Atlantik bis zum Mittelmeer reichenden 430 Kilometer langen Hauptkamm so manchen älteren Zugereisten an die Berge im Herzen Europas. An die Alpen, wie sie einst vor 20 oder 30 Jahren einmal ausgesehen haben. Nämlich an jene Epoche, in der es noch keine in den Wald geschlagenen Schneisen, keine betonierten Hänge, keine mit Planierraupen zurechtgewalzten Abfahrtpisten - eben Riesenabfahrten, Traumabfahrten - gab; aber auch noch keine konturlosen Hotelkonglomerate, einfallslose Ferienhauslawinen – vom Touristenmüll und den obligaten Autostaus einmal ganz zu schweigen.
Von der Öffentlichkeit zunächst nur halbherzig zur Kenntnis genommen, haben sich die Pyrenäen indes mit ihrem umweltbedachten Familiensinn ganz allmählich aus ihrem stiefschwesterlichen Schattendasein der Alpen befreien können. Der Besucher weiß sich in einer rauhen, von Gemsen bevölkerten Bergszenerie mit forellenreichen Seen, weiten Tannen-, Rotfichten-, Buchen- und Ulmenwäldern – die Pyrenäen werden auch das „französische Kanada“ genannt.
„Noch Ende der sechziger Jahre gab es hier in den Pyrenäen mehr Kühe als Einwohner“, erinnert sich René Bouscail, seines Zeichens Bürgermeister des Dorfes Les Angles. Früher wollte der Ortsvorsteher seiner Region schnurstracks den Rücken kehren, weil es außer Schweinezucht oder Holzwirtschaft kaum Arbeit gab. Heute hingegen gibt der Bürgermeister Skikurse, organisiert Bergwanderungen.
„Nur an den Winterabenden“, fährt er fort, „wird es früh still bei uns. Auf diese entrückten Après- Ski-Sektschlürfereien legt hier niemand großen Wert. Die Pyrenäen haben unsere Gastfamilien einfach zu müde gemacht“, sagt René Bouscail verschmitzt.
Tagsüber führen die Pisten vorbei an tobenden Sturzbächen, zwischen spalierstehenden Schwarzfichten und Buchen hindurch. Überhängende Felswände, ein Fluß, der sich in Kaskaden tief durch den Kalkstein sägt, nicht gezackt wie in den Alpen, sondern hingeklotztes Urgestein – das sind die unverkennbaren Naturmerkmale der Pyrenäen. Auf 1.800 Meter Höhe liegt der Luftkurort Font-Romeu mit seinen 3.200 Einwohnern und mehr als 3.000 Sonnenstunden im Jahr. Auf der Hochebene weicht der Wald vor riesengroßen, über 1.000 Kilometer weiten Langlaufgebieten zurück.
Bisher hatte sich Font-Romeu als Kurort für Atemwegserkrankungen einen Namen gemacht. Unterdessen renovierten Bauern ihre früheren Stallungen, bauten sie zu Ferienwohnungen um. Und das exakt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Anziehungskraft der Alpen zusehends auffälliger verlorengeht. Bekanntlich sind die Bergschutztäler dort aufs höchste gefährdet: Die Lawinenhäufigkeit nimmt zu, Hänge kommen ins Rutschen, und Täler gelten als teilweise unpassierbar.
Unverkennbar deutet sich unter Frankreichs Wintersporturlaubern ein Trendwandel an. Gesucht wird wieder das idyllische und bäuerlich strukturierte Dorf inmitten einer noch intakten Landschaft. Etwa die Pyrenäenregion um Font-Romeu. Sie verfügt immerhin über 32 Skilifte, 460 Schneekanonen, 40 Pisten und 52 Kilometer für den alpinen Ski. Verständlich, daß die Besucherzahl in den winterlichen Pyrenäen um 20 Prozent auf etwa 80.000 Wintersportler nach oben schnellt.
Verständlich aber auch, daß Henry Tonton Raymond vom Touristenbüro in Font-Romeu ein wenig sorgenvoll in die Zukunft blickt. Er bedeutet: „Viele Urlauber kommen jetzt auf einmal zu uns, weil sie den weißen Industriemüll in den Alpen satt haben. Wir aber müssen höllisch aufpassen, daß wir nicht dieselben unverzeihlichen Fehler machen. Sonst sind auch unsere Berge kaputt.“
Vorsorglich basteln touristische Zukunftsplaner schon beizeiten an einem neuen, einprägsamen Winterprofil für die Pyrenäen – dem naturverträglichen, ökologischen Schneeurlaub.
Autofrei müssen demnach Dörfer und Skigebiete sein. Die beiden höchsten Gipfel wurden rechtzeitig schon unter Naturschutz gestellt. Und in Font-Romeu setzen zudem 10.000 Solarzellen zur Gewinnung von Sonnenenergie ein markantes Signal des Umweltbewußtseins. Touristenmanager Henry Tonton Raymond bemerkt: „So viele Urlaubermassen wollen wir hier auch gar nicht haben. Schon jetzt sind wir praktisch ausgebucht. Und bei jeder Neuerung haben wir zuallererst unsere Berge zu fragen, ob sie es noch mitmachen wollen. Skispektakel hin oder her – ohne ihr Wohlbefinden gedeiht gar nichts mehr.“
Frankreich – Skiparadies für Kinder
(faf). – Nach einer Untersuchung des ADAC sind Kinder im Winterurlaub am besten in den Skigebieten Frankreichs aufgehoben. Ihre Betreuung erfolgt vielfach durch pädagogisch geschulte Skilehrer und oft bis in den späten Nachmittag hinein. Die Franzosen bieten auch die besten kindergerechten Übungshänge und spezielle Bébé- Clubs für die ganz Kleinen.
Mehr als das Übliche finden Familien nach dem ADAC-Test auch in den meisten Schweizer Skiregionen, während die Betreuung in Österreich und Deutschland von den Prüfern als phantasielos beurteilt wurde.
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