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Vom Couchpotato zum Aktivisten

■ Im Februar beginnt in Berlin das erste der sechs deutschen Pilotprojekte für interaktives Fernsehen

Zwei Visionen verabreichen Deutschlands Medienmanagern derzeit Wechselbäder. Die euphorische heißt „Multimedia, der unerschöpfliche Wachstumsmarkt“: In spätestens zehn Jahren wird der typische Fernsehapparat ein Computer sein, der Couchpotato ist dann zum Aktivisten geworden, der sich sein Medienmenü aus Hunderten von Spartenkanälen und Videodatenbanken zusammenstellt und seinen wöchentlichen Einkaufsbummel am Bildschirm erledigt.

Die pessimistische Vision lautet: Was die Technik kann, wollen oder können die VerbraucherInnen noch lange nicht. Man schätzt, daß 40 Prozent aller Videorecorder ständig blinken, weil ihre BesitzerInnen noch nicht einmal die Zeitanzeige programmieren können. Werden die wirklich mit video-on-demand spielen oder ihre Banküberweisungen in die heimische Tastatur eingeben? Der einzige deutsche Pay-Kanal, premiere, kostet schon 41 Märker pro Monat, die Gebühren für Kabel und öffentlich-rechtliche Sender machen noch einmal schlappe 40 Mark aus – wie viele Fans werden da noch für jeden Film on-demand sechs Mark zahlen wollen?

Wieder einmal erweist sich die Technik als leichter programmierbar als der Mensch. Die Digitalisierung schreitet mit Riesenschritten voran. Gerade haben sich die meisten Länder auf einen weltweiten Standard (MPEG II) geeinigt, der nächste Astra-Satellit, der ins All geschossen wird, wird bereits digitalisiert sein. Da kann mit der gleichen Kapazität die vierzigfache Datenmenge übertragen werden. So wird jeder der 20 Kanäle auf Astra 1E zum „Datencontainer“ für vier bis acht TV-Programme (je nach den Ansprüchen an die Bildqualität).

Erst der Trick der Datenkompression macht es möglich, vom „interaktiven Fernsehen“ zu träumen. Denn jeder Zuschauer braucht dann allein für sich schon zwei ganze Kanäle: einen zum Senden, den anderen zum Empfangen. (Ein Kupfer-Telefonkabel würde für die Übertragung eines zweistündigen Spielfilms zwei Jahre brauchen.)

Und während noch eifrig an den technischen Details gebastelt wird, von der Verschlüsselung und Entschlüsselung der Programme bis zum Abrechnungsmodus, sollen schon die ersten Konsumenten in den Genuß interaktiver Gehversuche kommen, für einige Monate sogar kostenlos, danach steigen die Preise schrittweise.

Reibach nur mit Filmen

Die nicht weniger als sechs Pilotprojekte haben Telekom und Unternehmen (von Versandhäusern und Geräteherstellern bis hin zu Fernsehveranstaltern) selbstverständlich nicht ganz uneigennützig finanziert. Die Telekom will vor allem technische Standards ausprobieren, und die Firmen wollen wissen, wieviel Geld eigentlich in Zukunft mit interaktiven Diensten zu verdienen ist. Schließlich gehen die Investitionskosten in die Milliarden, und das Ganze könnte ein ziemlicher Flop werden, wenn – so geschehen im amerikanischen Colorado – selbst nach zwei Jahren Probieren die Zuschauer durchschnittlich weniger als drei Filme pro Monat bestellen. Gewinn wird jedenfalls, da sind die Experten sich einig, nur mit Filmen gemacht – Videospiele oder Homeshopping nehmen die Zuschauer eher als Zugabe mit. Bislang gibt es in Deutschland nur Umfragen und Vermutungen zu dem, was die Medienunternehmer „Akzeptanz“ von interaktivem TV nennen. Die Basler Beratungsfirma Prognos AG schätzt, daß von den 3 bis 4 Millionen Haushalten, die im Jahr 2000 digital empfangen können, jeder rund 90 Mark im Monat dafür ausgeben wird.

Von Siemens bis Kirch

Doch wollen die Firmen herausfinden, was und wieviel sich wirklich absetzen läßt, dann müssen die künftigen BenutzerInnen der Datenautobahn erst einmal spielerisch dran gewöhnt werden. Sechs Pilotprojekte sind dafür mittlerweile in der Mache. In Bayern hat die Staatsregierung in dieser Woche beschlossen, daß ihr Projekt in Nürnberg und München Mitte des Jahres starten soll. Geld gibt sie auch (und die Telekom), die Technik wird von Siemens, Grundig und Philips gestellt, Sender vom Bayerischen Rundfunk bis zu RTL und der Kirchgruppe wollen die Filme besorgen, und Quelle probiert es mit Homeshopping.

Beim Hamburger Projekt sind, der Tradition der Stadt entsprechend, die Verlagshäuser führend dabei: Bauer, Gruner+Jahr und Springer. Natürlich darf auch der Otto-Versand nicht fehlen, wenn es Mitte des Jahres losgeht. Für die 1.000 angeschlossenen Haushalte gibt es allerdings bei weitem nicht genügend Kanäle. So wird sich die eigentliche Interaktivität – bestellt wird per Modem über die Telefonleitung – auf hundert von ihnen beschränken.

In Leipzig will die Telekom davon profitieren, daß sie selbst hier schon flächendeckend die optischen Glasfaserleitungen gelegt hat, die schnellste Geschwindigkeit auf der Datenautobahn garantieren. Mit hundert Haushalten und professionellen Nutzern soll der Versuch im Herbst starten. Das Projekt in Berlin, das schon am 15. Februar startet, ist für die Telekom, die hier allein agiert, lediglich als „Demonstrationsobjekt“ in der Hauptstadt gedacht. Ohnehin wird es nur 48 TeilnehmerInnen geben, die Hälfte in Haushalten, die andere in Behörden, im Kaufhaus KaDeWe und „einem großen Verlagshaus“.

Die Planung des größten Versuchs hat Baden-Württembergs Landesregierung in die Hand genommen, für die eigene Landeshauptstadt Stuttgart. Wirtschaftsminister Spöri (SPD) macht 10 der 80 Millionen Investionskosten als Zuschuß flüssig, und die gesamte Crème der schwäbischen Industrie ist mit von der Partie: Bosch und Alcatel-SEL betreuen die Kabelnetze, die Computerware liefern die einheimischen Ableger von IBM und Hewlett Packard. Und bei den Inhalten sind neben Versandhäusern und Fernsehsendern nicht nur die Verlage Burda und Holtzbrinck dabei, sondern auch Mercedes-Benz. Jahreswagen künftig per Homeshopping?

Bleibt noch Bonn, wo es zwar dank der einen Milliarde, die von der ostwärts wandernden Regierung als Geschenk hinterlassen wird, Geld wie Heu gibt, aber bisher wenig konkrete Ideen. Außer einer: sich den originellen Namen „Telebonn“ gleich beim Patentamt schützen zu lassen. Michael Rediske

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