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■ Der DGB-Chef bringt die Viertagewoche in die DiskussionNeue Wege gehen

Die offizielle Statistik weist 3,56 Millionen Arbeitslose in Deutschland aus. Doch sie lügt. Hunderttausende melden ihren Wunsch nach Arbeit aus Resignation behördlich erst gar nicht mehr an. Rechnet man noch diejenigen hinzu, die sich in Arbeitsbeschaffungs- und Umschulungsmaßnahmen befinden, dann dürfte die tatsächliche Arbeitsplatzlücke bei weit über 5 Millionen liegen. 1994 wuchs die westdeutsche Wirtschaft um knapp 2,5 Prozent, die im Osten um 9 Prozent. Auf dem Arbeitsmarkt bewirkte dieses Wachstum lediglich, daß die Zahl der Arbeitslosen konstant blieb. In diesem Jahr dürfte die deutsche Wirtschaft erneut um rund 3 Prozent wachsen – bei fast gleichbleibender Arbeitslosenrate.

Man kann es angesichts dieser Zahlen nur immer wiederholen: Selbst wenn die Wirtschaft erheblich wächst, bleiben Millionen von Menschen weiterhin ohne Jobs. Ohne neue Initiativen wird sich daran nichts ändern. Wer sich jetzt immer noch weigert, neue Wege zu beschreiten, der sorgt mit Sicherheit dafür, daß am Ende der nächsten Rezession die Sockelarbeitslosigkeit erneut wesentlich höher liegt. Um das zu verhindern, gilt es viele Experimente zu wagen. Die jetzt vom DGB-Chef Dieter Schulte ins Spiel gebrachte Viertagewoche zählt dazu. Die tarifliche Verkürzung der Arbeitszeit reflektiert ja nur den historischen Trend, daß im hochproduktiven Bereich der Wirtschaft immer mehr materieller Reichtum mit weniger Arbeit geschaffen wird. Eine Reduzierung der Arbeitszeit in dieser Sphäre könnte mehr Menschen Arbeit verschaffen, wenn Arbeit und Einkommen im relevanten Ausmaß tatsächlich geteilt würde. Daß die Einkommensverluste kleiner ausfallen könnten, wenn mit der Arbeitszeitverkürzung eine Ausdehnung der Maschinenlaufzeiten einherginge, ist eine Binsenweisheit. Eine Viertagewoche auf der Grundlage von fünf oder sechs Wochentagen macht da Sinn.

Ein Allheilmittel gegen die Arbeitslosigkeit bietet das Modell indes nicht. Für die eine Million Langzeitarbeitslosen sind ganz andere Wege zu beschreiten. Will man für weniger qualifizierte Arbeitslose ernsthaft neue Jobs schaffen, dann führt kein Weg an der Zulassung eines Niedriglohnbereichs vorbei. Der tarifliche Lohn für unproduktive, einfache manuelle Arbeiten verhindert die Erschließung neuer Beschäftigungsfelder, auch wenn das garantierte Einkommen absolut sehr niedrig liegt und zum Bestreiten des Lebensunterhaltes kaum reicht. Durch eine „negative Einkommensteuer“ ließe sich dieses Einkommen aufbessern. Die Modelle dafür liegen seit Jahren vor. Die Politik muß sie nur endlich umsetzen. Ebenso wie die Senkung der Lohnnebenkosten bei gleichzeitiger Verteuerung des Ressourcenverbrauchs. Palavert wurde auch darüber genug. Gefragt sind jetzt Taten.

Bleibt das Versagen der „Nieten im Nadelstreifen“, der „Maulhelden“ (Blüm), die immer das große Wort führen, wenn es gilt, neue Ideen abzubügeln. Daß in den USA seit 1970 45 Millionen neue Jobs (plus 60 Prozent), im wesentlichen hochqualifizierte, entstanden sind, in Westdeutschland dagegen nur 2,2 Millionen (plus 8 Prozent), erklärt sich zu einem erheblichen Teil auch aus der Innovationsfeindlichkeit westdeutscher Manager und ihrem bürokratischen Führungsstil. Betonköpfe gibt es eben nicht nur in Politik und Gewerkschaften, viele Manager sind Teil des Problems. Walter Jakobs

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