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Später Sieg für Überlebende von Thule

Nach 27 Jahren hat die dänische Regierung die Schadenersatzansprüche der „Thule“-Arbeiter anerkannt / Sie wurden '68 bei US-Bomberabsturz auf Grönland verstrahlt  ■ Aus Kopenhagen Reinhard Wolff

Nach jahrelangem Kampf haben die, die überlebt haben, einen späten Sieg errungen. Am Freitag vergangener Woche beschloß die dänische Regierung, über zehn Millionen Kronen (2,5 Millionen Mark) bereitzustellen für eine systematische medizinische Untersuchung der „Thule-Arbeiter“ und jener grönländischen Familien, die 1968 in unmittelbarer Nähe der US-Basis Thule lebten. Diese Entscheidung ist ein erster Schritt zur Durchsetzung von Schadenersatz- und Rentenansprüchen der Überlebenden und Nachkommen derjenigen, die vor 27 Jahren ohne ihr Wissen schwer verstrahlt worden waren. Am 21. Januar 1968 war ein US-Bomber vom Typ B-52 vor Thule in Nordgrönland abgestürzt. Angeblich vier Atombomben waren an Bord.

Die USA verweigerten beharrlich genaue Zahlen, schließlich hatte man sich 1951 vertraglich verpflichtet, keine Atomwaffen über dänisches Territorium (Grönland ist eine autonome Region Dänemarks; d. Red.) zu transportieren. Unbekannte Mengen radioaktiven Plutoniums, Berylliums, Americiums und Tritiums schleuderten durch die Gegend. Eine Explosion blieb nur deshalb aus, weil die Bomben nach US-Angaben nicht mit einem Zünder versehen waren. 1.300 Arbeiter, die meisten von ihnen Freiwillige aus Dänemark, aber auch Gefangene aus grönländischen Haftanstalten wurden für die Aufräumarbeiten eingesetzt. Ohne über die Gefahren informiert worden zu sein, wühlten sie monatelang im radioaktiven Schnee und Eis nach verstrahlten Wrackteilen. 600 Container mit Eis, Schnee und Wrackteilen wurden im September 1968 in die USA geschafft und die ganze Geschichte offiziell beerdigt.

Jahre später häuften sich die rätselhaften Erkrankungen bei den Thule-Arbeitern. Die USA verweigerten jegliche Auskunft, die Regierung in Kopenhagen fühlte sich nicht zuständig. Erst 27 Jahre später hat nun das Pentagon der dänischen Regierung bislang geheime Dokumente zugänglich gemacht und offiziell eingestanden, daß nicht 3,4 Kilogramm Plutonium, wie bislang behauptet, sondern mindestens sechs Kilogramm auf dem grönländischen Eis landeten. Greenpeace schätzt die Menge auf über 25 Kilo.

Die neuen, nach wie vor nicht- öffentlichen Dokumente haben die dänische Regierung jetzt veranlaßt, ihre Hinhaltetaktik aufzugeben. Seit Jahren kämpft eine Selbsthilfeorganisation der Thule- Arbeiter darum, die Gesundheitsschäden anerkannt zu bekommen. Die Zahlen belegen gegenüber dem statistischen Durchschnitt der männlichen Bevölkerung eine doppelte Krebserkrankungsrate und eine um 40 Prozent erhöhte Sterblichkeitsrate bei den Thule- Arbeitern, von denen nur noch etwa 750 am Leben sind. Fast alle klagen über die typischen Symptome von Strahlenkranken: Leberschäden, schlechtheilende Wunden, Müdigkeit, Erstickungsanfälle, Gewichtsverlust, extreme Anfälligkeit für Infektionen und eingeschränkte Fruchtbarkeit.

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