: Bärbel Bohley: Amnestie führt doch zu Amnesie
■ Die Befürworter des „Schlußstrichs“ unter das DDR-Unrecht wollen nur eins, sagt die Bürgerrechtlerin zur taz, nämlich „Deckel drauf“
Berlin (taz) – Die Gründerin des „Neuen Forums“ hat im Interview mit der taz Richard von Weizsäckers Forderung nach einer „Abschlußregelung“ mit harten Worten widersprochen. Das Strafrecht könne das DDR-Unrecht nicht bewältigen, so der ehemalige Bundespräsident im Spiegel: „Daß das Strafen einmal zum Ende finden muß, halte ich für ganz und gar unvermeidlich, für rechtsstaatlich notwendig, für menschlich geboten.“
Bohley antwortet: „Das heißt nur: Deckel drauf. Weizsäcker sagt, ,die Wahrheit muß auf den Tisch, soweit sie zugänglich ist‘. Die Wahrheit ist aber nicht einfach so zugänglich! Und leider wird sie manchmal erst vor Gericht gefunden.“ Weizsäckers Ansicht, daß eine Amnestie ohne Amnesie möglich sein, will die Bürgerrechtlerin nicht folgen. Bohley widerspricht von Weizsäcker auch in seiner Auffassung, daß „das Ziel die Aussöhnung“ sein müsse. „Mein Ziel ist das nicht“, so Bohley zur taz, „mein Ziel ist die Aufdeckung der totalitären Mechanismen. Weizsäcker spricht von seiner ,Achtung‘ für die Opfer. Aber es geht nicht um Achtung, sondern es geht um Genugtuung für die Opfer.“ Viele Befürworter der Amnestie, so Bohley, würden eine Aussöhnung in Wirklichkeit nur mit den Tätern suchen.
Auch der ehemalige Bürgerrechtler Rainer Eppelmann hat am Wochenende in die „Schlußstrich-Debatte“ eingegriffen. Er forderte ein „Strafrechtsbegrenzungsgesetz“. Das sei sinnvoller als eine Amnestie, die Vergebung bedeute und voraussetze, daß Täter sich ihrer Schuld bewußt seien. Er sei sehr dafür, „die Kleinen laufenzulassen“ und nur bei den Hauptschuldigen zu prüfen, inwieweit sie gegen geltendes Recht verstoßen hätten. Ein Mittel, dies zu erreichen, könne auch die Verjährung sein.
Im Gespräch mit den taz-RedakteurInnen Bascha Mika und Wolfgang Gast skizziert Bärbel Bohley auch den Typus des „informellen Mitarbeiters“ der Staatssicherheit – nach reichlicher Erfahrung mit den unfreiwilligen Outings der IM. Anlaß ist der Fall des Rundfunkmoderators Lutz Bertram, dessen Akten am Freitag zum Teil veröffentlicht wurden (siehe taz vom Samstag): „Die wollten an der Macht teilhaben. Auch bei Bertram war es die Lust an der Macht. Das sind Leute, die aus allem Nektar saugen. Jetzt sehen sie alles zusammenbrechen. Ihre doppelte Existenz wird plötzlich eindimensional.“ Aber Bohley ist auch optimistisch. Sie hofft, daß wir in fünf Jahren mit der Stasi-Debatte weiter sind. Tagesthema Seite 3
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen