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■ Bill Clinton kann heute wieder besserer Laune sein als nach den Kongreßwahlen im November: Die von Newt Gingrich im Repräsentantenhaus verkündete konservative "Revolution" stockt jetzt schon in den...Es müffelt nach "business as usual"

Es müffelt nach „business as usual“

Es ist wie im Sport. Gerade die langerträumten Endspiele halten selten, was sie versprechen. Die Spieltaktik verwirrt die Zuschauer mehr als den Gegner, die Spielintelligenz bleibt in der Kabine, die Ballbeherrschung fällt der Bolzerei zum Opfer. Gäbe es nicht denkwürdige Eigentore, jede Menge theatralischer Schwalben und unfreiwillig komische Doppelpässe in diesem Duell der „Republican Newtoids“ gegen die „Democratic Soulsearchers“ – die Zuschauer hätten allen Anspruch auf Rückerstattung des Einrittsgeldes. Allerdings sind die Spielregeln so gefaßt, daß sie erst wieder in zwei Jahren, bei den nächsten Wahlen, Einfluß auf die Mannschaftsaufstellung nehmen können.

Eine „Revolution“ hatte der neue Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, nach dem Wahlsieg der Republikaner am 8. November angekündigt. Einen Gezeitenwechsel, der sämtliche Reminiszenzen an den „Wohlfahrtsstaat“ auslöschen und die USA als ein „Land der Chancen“ auf den rechten Weg ins 21. Jahrhundert und in das „Informationszeitalter“ bringen würde. Als Fahrplan hält Gingrich immer wieder den von ihm mitformulierten „Contract with America“ in die Kamera, ein Aktionsprogramm mit zehn Gesetzesvorschlägen. Die Zahl ist absichtlich gewählt und soll an die zehn Gebote und an die „Bill of Rights“ erinnern.

Wie man den Haushalt per Dekret ausgleicht

Gingrich und seinen „Newtoids“, wie seine loyalen Anhänger im US-Kongreß genannt werden, gelang tatsächlich ein schwungvoller Auftakt. Gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode setzte er im Repräsentantenhaus eine ebenso populäre wie überfällige Reform durch: Die Abstimmung des „Congressional Accountability Act“: Danach müssen sich die Kongreßabgeordneten als Arbeitgeber an die gleichen Bürgerrechts- und Arbeitsschutzgesetze halten, die sie für den Rest des Landes erlassen haben. Bisher genossen sie Sonderrechte. Der Senat stimmte wenig später ebenfalls zu.

Doch mit seinen „zehn Geboten“ tut sich Gingrich, der sich in den ersten beiden Wochen der neuen Legislaturperiode oft wie ein Premierminister gerierte, ungleich schwerer, obwohl er und seine „Newtoids“ sich mit der Etikettierung ungemein Mühe gemacht hatten. Eine Senkung der Kapitalertragsteuer wird da als „Gesetz zur Arbeitsplatzbeschaffung und zum Lohnwachstum“ angepriesen. Hinter dem „Gesetz zur Wiederherstellung des amerikanischen Traumes“ verbirgt sich ein Steuerfreibetrag von 500 Dollar pro Kind für die Kleinfamilie; das „Gesetz für individuelle Verantwortung“ sieht radikale Kürzungen der bundesstaatlichen Mittel für SozialhilfeempfängerInnen vor; das sechste Gebot trägt den Titel „Gesetz zur Wiederherstellung der nationalen Sicherheit“ – und meint die Fortführung des „Star Wars“-Systems, die Aufstockung des Rüstungsbudgets, sowie das Verbot, US-Truppen unter UNO-Kommando zu stellen. Erstes Gebot ist das „Gesetz für fiskalisches Verantwortungsbewußtsein“, das in der US-Verfassung einen ausgeglichenen Haushaltsplan vorschreiben soll.

Je nach politischem Standpunkt mag man diese PR-Strategie für genial oder schlicht euphemistisch halten. Fest steht nach 21 Tagen „Revolution“ im US-Kongreß, daß nichts so heiß gegessen wird, wie Newt Gingrich es gerne kochen würde.

Mit dem ersten Gebot fängt es an: Der Verfassungszusatz für ein ausgeglichenes Haushaltsbudget müßte von zwei Dritteln der Abgeordneten in beiden Kammern und von drei Vierteln der Bundesstaaten angenommen werden. Und dann stellt sich noch die Frage nach dem Sinn – ebensogut könnte der Bundestag durch einen Zusatzartikel im Grundgesetz das Waldsterben verbieten. In Anbetracht das Umstandes, daß drei Viertel des US-Haushaltes für den Schuldendienst, den Verteidigungshaushalt und politisch unantastbare Programme wie Sozialversicherung ausgegeben werden, können auch die „Republikaner“ nicht erklären, wie sie ohne massive Steuererhöhungen einen ausgeglichenen Haushalt erzwingen wollen.

Auch gegen ihr scheinbar so populäres Gesetzesvorhaben zur Kürzung der Sozialhilfe, das zumindest in Teilen von Bill Clinton vorgezeichnet worden war, formiert sich Widerstand. Betroffen wären vor allem alleinerziehende Mütter, darunter ein überproportional großer Anteil schwarzer Frauen, die längst als assoziative Zielscheibe herhalten müssen, wenn das Schlagwort „welfare mother“ genannt wird. Doch die Stimmung in der Öffentlichkeit kippt sofort in Sympathie und die Forderung nach mehr staatlicher Hilfe um, wenn Kritiker dieser Kahlschlagprogramme zeigen, daß unter einer Kürzung der Sozialhilfe nicht nur die Frauen, sondern auch ihre Kinder zu leiden haben. Zwei Drittel der rund 14 Millionen Sozialhilfeempfänger in den USA sind Kinder.

Jagt die bedrohten Tierarten in die Luft

Die Mühlen des Parlaments, so muß „König Newt“ (New York Times) feststellen, mahlen auch mit einer republikanischen Mehrheit langsam. Deren Geschlossenheit zeigt erste Risse. Die diversen Fraktionen der demokratischen Opposition erweisen sich hingegen als ausgesprochen lernfähig im Kopieren jener Geschäftsordnungstricks und Verzögerungstaktiken, mit denen die Republikaner der Clinton-Administration in ihren ersten beiden Amtsjahren das Regieren versauert hatten.

Eines allerdings hat sich mit der neuen Legislaturperiode rabiat gewandelt: War das Niveau des politischen Diskurses vor zwei Jahren noch durch problemorientierte, manchmal auch technokratische Diskussionen über die Reform des Gesundheitswesens oder der Berufsausbildung geprägt, so wird heute auf Stammtischhöhe debattiert. Da plädiert die neugewählte Republikanerin Helen Chenoweth aus Idaho dafür, weiße Männer zur „bedrohten Spezies“ zu erklären; Sony Bono, neugewählter Republikaner und Ex-Mitglied des Duos „Sony and Cher“ propagiert hingegen, alle bedrohten Tierarten an einem Ort zusammenzutreiben und „in die Luft zu jagen“ – er haßt den Umweltgedanken. „König Newt“ meldete Bedenken bezüglich der Kampftauglichkeit von Soldatinnen an. Frauen könnten keine dreißig Tage im Schützengraben durchstehen, weil sie dann „Infektionen bekommen. Männer hingegen sind im Prinzip wie kleine Ferkel. Man schmeißt sie in den Graben – und sie fangen an, sich zu rollen.“

Ein glattes Eigentor fabrizierte der Kapitän der „Republican Newtoids“, als er den Armen des Landes einerseits mit dem Entzug der Sozialhilfe drohte und ihnen andererseits einen Steuererlaß zwecks Erwerbs eines Laptop-Computers versprach. Niemand solle die Auffahrt auf den „Information Superhighway“ verpassen, sagte Gingrich, zu dessen Visionen unter anderem bemannte Raumstationen gehören – für Rollstuhlfahrer, weil denen die Schwerelosigkeit zupaß käme. Konservative im eigenen Lager mußten ihn daran erinnern, daß ein echter „Republikaner“ keine Steuererleichterungen für Arme anbietet. „Ein dumme Idee war das“, räumte er wenig später reumütig ein.

Seine Whitewater-Affäre hat Gringrich auch schon

Eine dumme Idee war es auch, nach dem Wahlsieg mit einem Verlag aus dem Imperium des Medienzaren Rupert Murdoch einen Buchvertrag über 4,5 Millionen Dollar abzuschließen. Murdoch wiederum stattete Gingrich einen Besuch im Kapitol ab – unter anderem, um sich über legislative Probleme mit dem Marktkonkurrenten NBC zu beklagen. Zwar hat Newt Gingrich bislang mit Chuzpe jede Kritik am Widerspruch zwischen seinem eigenen Verhalten und seinem rhetorischen Feldzug für eine neue Ethik in der Politik abgebügelt. Doch der Deal mit Murdoch in seiner Schublade entwickelt einen ähnlich verfänglichen Geruch für den Sprecher des Repräsentantenhauses wie seinerzeit die Whitewater-Affäre für Bill und Hillary Clinton. Es müffelt im Zentrum der Revolution nach business as usual.

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