Kopfschlachters Brechreiz

■ Milde Geldstrafen für Kühequäler / Tiere „in erbärmlichem Zustand“ transportiert / Milde Geldstrafen

„Wir sind auf dem Schlachthof wirklich nicht zimperlich, wenn es um Fragen des Tierschutzes geht. Aber wenn sich sogar die Kopfschlachter mit Brechreiz abwenden – das will was heißen.“ Henning Rogge ist erregt. Der bärige Mann ist seit langen Jahren Tierarzt beim Bremer Schlachthof, Sensibelchen werden da nicht alt. Aber was sich die beiden da auf der Anklagebank geleistet haben, das geht auch für den abgebrühtesten Fleischbeschauer auf keine Kuhhaut. Die beiden Männer haben im Jahr 1992 Schlachtvieh aus dem deutschen nahen Osten zum Bremer Schlachthof gekarrt. Doch die waren in einem derart erbärmlichen Zustand, daß der Veterinär die Notbremse zog und Anzeige erstattete. Gestern kam es zum Prozeß vor dem Bremer Amtsgericht.

Günter E. hat reichlich Pech gehabt in seinem Leben. Mit 48 Jahren verdient er gerade mal 1.300 Mark. Früher hat er den Hof seiner Tante bewirtschaftet, bis der Pleite ging und ihn mit in den finanziellen Strudel zog.. Jetzt schlägt er sich als Fahrer bei einem Schlachtviehhändler durch. Der rotgesichtige Mann ist hart geworden gegen die Welt. Warum es jetzt die Aufregung gibt, das kann der rotgesichtige Mann nicht verstehen – wegen ein paar Kühen. „Warum picken die mich raus? Damals haben die Ostler ständig sogar tote Tiere auf dem Hänger gehabt“, sagt er.

Im März und im April 1992 hatte E. sich auf den Weg gemacht, mit Zugmaschine und Hänger in Richtung Stendal. Ein Weg, den er gut kannte. Den war er schon ein paarmal gefahren für seinen Chef, den Bremer Schlachtvieh-Zwischenhändler Georg B. Der hatte gleich nach der Wende die ostdeutschen Landwirtschaftsbetriebe abgeklappert auf der Suche nach neuen Anbietern: Billige LPG-Rindviecher werden nach Bremen gefahren und geschlachtet, das Fleisch geht direkt an die Großhändler.

Ein Geschäft, das auf dem Bremer Schlachthof nach kurzer Zeit berüchtigt war. Denn was die Schlachter und die Tierärzte zu sehen bekamen, wenn die Türen der Transporter geöffnet wurden, das war alles andere als DDR-“Weltniveau“. „Die Tiere aus dem Osten waren in einem miseralen Zustand“, erzählt Heinz Hübner, Chef des Fleischhygieneamtes. „Abgemagert, mit Blutungen in der Unterhaut, zum Teil schon sulzig, was auf lang andauernde Verletzungen schließen läßt, zum Teil mit dicken, entzündeten Gelenken.“ Und immer wieder seien die Transporte von Georg B. dabeigewesen, mit Günter E. hinter dem Lenkrad. Henning Rogge, der Tierarzt von der Schlachttier-Untersuchung, hatte E. schon ein paarmal gewarnt, hatte seinen Chef eingeschaltet, der hatte einen Brief geschrieben – doch Anfang April war Rogge der Kragen geplatzt.

Da sei E. am frühen Morgen wieder mit so einem Transport angekommen. Bei den Kühen habe man die Rippen zählen können, drei Tiere seien offensichtlich krank gewesen. Und als E. nach einer kleineren Tour ins Umland wieder auf den Hof gekommen sei, da erst habe der Arzt bemerkt, daß in E's abgestelltem Hänger noch eine Kuh gelegen habe. Eine Stunde vor Öffnung des Schlachthofes war E. mit seinem Nachttransport in Bremen eingetroffen. Die Kuh lwar einfach liegengeblieben, ein klarer Fall für den Tierarzt, wahrscheinlich für den Notschlachter. Doch bis Schichtbeginn wollte E. nicht warten, schließlich hatte er noch was vor. Also stellte er seinen Hänger kurzerhand ab, versuchte, seinen Chef zu erreichen, und fuhr weiter. Mittags lag die Kuh immer noch, bis der Arzt sie entdeckte.

Der zeigte nun an, was ihm in den letzten Wochen mit E. passiert war: eine Notschlachtung, drei Kühe offensichtlich krank, blutige, sulzige Unterhaut, Hautabschürfungen, „die auf längere Schinderei schließen lassen“, notierte der Arzt. Die Woche darauf wieder eine Notschlachtung, wieder vier kranke Kühe, zum Teil „festliegend“, das heißt, die Tiere konnten aus eigener Kraft nicht mehr aufstehen. Eine eindringliche Warnung des Arztes an den Fahrer. Dann, eine weitere Woche später, wieder drei kranke Kühe. „Die sind schon als Verrecker aufgeladen worden“, schimpft der Tierarzt.

So deutlich will das der Richter gar nicht wissen. Ein armes Würstchen auf der Anklagebank, daneben der Chef, dessen Geschäfte seit den diversen Seuchenskandalen auch nicht gerade gut gehen. Und bei aller Liebe zum Tier, die Leute sollen ja auch nicht gerade ruiniert werden. Daß die beiden gegen das Tierschutzgesetz verstoßen haben, da gebe es kein Vertun. Kranke Tiere dürfen nicht in den Verkehr gebracht werden. Der Richter: „Und die EG-Verordnungen lassen wir mal raus. Da steigt sowieso keiner durch.“ Und so kommt nach einiger Feilscherei ein Beschluß zustande. Der Chef kommt mit einer Geldstrafe von 2.500 Mark davon, strafrechtlich kommt ihm der Staatsanwalt nicht bei. Schließlich ist er ja nicht persönlich dabeigewesen, wenn kranke Tiere geladen wurden. „Ich habe mich auf meinen Mann verlassen“, sagt er. Der kommt nicht so billig davon, für seine Verhältnisse. E. wird verurteilt und bekommt 80 Tagessätze a 20 Mark aufgebrummt. Der Richter: „Sie hätten sich um die Kuh kümmern müssen. Vielleicht gibt's da auch sowas, wie einen würdigen Tod.“ Jochen Grabler