piwik no script img

„Man muß rehabilitieren“

■ 50 Jahre nach Kriegsende sind die Opfer deutscher Kriegsgerichte noch nicht rehabilitiert. / Historiker: „Im Parlament denkt man nicht richtig nach“

Als der deutsche Soldat das Hitlerbild anschrie: „Du bist schuld“, kannten die Kameraden, mit denen er im französischen Amiens stationiert war, kein Pardon. Sie verpfiffen ihn. Das Militärgericht verurteilte ihn wegen „Wehrkraftzersetzung“. Das Urteil: Todesstrafe. Das ist eines von vielen Beispielen, das der Freiburger Historiker Manfred Messerschmidt in seinem Vortrag über den „Politischen Charakter der Kriegsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus“ anführte. Der anerkannte Militärhistoriker sprach gestern in den Räumen der Bremer Staatsanwaltschaft vor etwa 80 ZuhörerInnen. Sein Anliegen: „Wir müssen deutlich machen, was damals wirklich geschah“. Dem verzweifelten Soldaten in Amiens beispielsweise, dem das Gericht die Umstände seines „Vergehens“ gegen das Bild Hitlers nicht mildernd werten wollte: Der Angeklagte hatte soeben erfahren, daß seine Frau bei einem Bombenangriff möglicherweise tödlich verletzt worden war.

Zwei wesentliche Merkmale der Rechtsprechung der Militärjustiz legte der Historiker dar, sie betrafen auch den Fall jenes deutschen Soldaten: die Kriegsgerichte, erst 1939 wieder gegründet, urteilten zumeist mit unerbittlicher Härte. Auch die innere Organisation der Gerichte ohne Berufungsinstanz war dafür ein Grund. Das „Verfahren“ konnte nur durch die Entscheidung eines „Gerichtsherrn“, zumeist eines Militärs, wiederholt werden. „Oft fiel das Urteil dann härter aus“, beobachtete der Historiker. „Dabei standen auch die Richter unter Druck.“ Dennoch: „Spielräume, die die Gerichte gehabt hätten, wurden nach meiner Ansicht nicht ausgenutzt“.

Mindestens so unerbittlich wirkte die Ideologie vom „Inneren Feind“. Die war bereits in der wilhelminischen Zeit geprägt worden, aber im Nationalsozialismus expandierte sie auf neue Art: Wer den „Geist der Gemeinschaft“ in Frage stellte, Partei, Krieg oder Unrecht kritisierte, der wurde zum „Sozialschädling“ alias „Innerer Feind“. Unerbittlich schlug die Rechtsprechung schon bei „intellektuellen Verbrechenstaten“ zu. Denn die große Mehrheit der Richter folgte der Überzeugung, daß sie der „Blut- und Schicksalsgemeinschaft“ bis hin zur „Interpretation des wahren Willens des Führers“ verpflichtet sei. Mit Zitaten belegte Messerschmidt, wie eng diese Militärjustiz sich der Politik verbunden fühlte. Und wie dadurch Willkürurteilen Tür und Tor geöffnet wurde. Das „sozialschädliche Verhalten“ nämlich sollte je nach den Umständen bewertet werden. Todesstrafe nie ausgeschlossen.

Die schrecklichsten Instrumente zur Durchsetzung des totalen Gehorsams waren die Paragraphen 5 und 5a der Kriegssonderstrafrechtsverordnung. Defaitistische Bemerkungen, Fahnenflucht und ab 1943 die Gefährdung der Manneszucht konnten durch sie mit Höchst- und Todesstrafen belegt werden. Der besoffene Soldat, der in einer Gaststätte seine Sangeskünste zum besten gegeben hatte, kam noch glimpflich davon. Zwei Jahre Zuchthaus brachte ihm der Text: Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei. Erst geht der Führer und dann die Partei. Für den Historiker und Juristen ist das kein Anlaß zur Erleichterung: „Es war kein anderer Soldat in der Nähe. Von ,Gefährdung der Manneszucht' kann keine Rede sein.“ Ein politisches Urteil. „Ein Unrechtsurteil wie die meisten.“ Aber die Bundesrepublik hat die Verurteilten immer noch nicht als Opfer einer politischen Justiz anerkannt. Im Zweifel für den Angeklagten: „Man muß alle rehabilitieren“, sagt Messerschmidt.

Nicht nur zahlreiche Einzelfälle seien ein Beweis dafür, sondern auch die erschreckend lange Liste der Todesurteile. In den sechs Kriegsjahren wurden insgesamt 27.000 Todesurteile gefällt, 20.000 davon vollstreckt. Selbst im faschistischen Italien gab es nicht mehr als 156 Todesurteile. „Ich glaube, im Bundestag hat man nicht richtig darüber nachgedacht, daß es nicht rechtstaatlich ist, für Lappalien härteste Strafen zu verhängen.“ ede

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen