: Mein Bauch gehört mir – teilweise
Bündnis 90/Grüne gibt Fundamentalopposition gegen § 218 auf und legt einen eigenen Gesetzentwurf vor / Kritik der Landesverbände / SPD und FDP gleichfalls mit eigenem Entwurf ■ Von Karin Flothmann
Berlin (taz) – Pünktlich um neun Uhr am Morgen des 6. Juni 1996 sind die Reihen im Bonner Parlament wohlgefüllt. Die parlamentarischen Geschäftsführer aller Fraktionen haben ihren ParteigängerInnen Anwesenheitspflicht eingebläut. Es gilt weder Fraktions- noch Koalitionszwang. Auf der Tagesordnung steht das neue Abtreibungsrecht. Doch im Gegensatz zur letzten Abstimmung 1992, bei der der fraktionsübergreifende Gruppenantrag die meisten Stimmen erhielt, ist diesmal klar, daß es nicht zu einer Fristenregelung kommen wird. Davor hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 1993 einen Riegel geschoben. Zur Debatte stehen, wie vier Jahre zuvor, sieben Gesetzentwürfe: neben denen von CDU/ CSU, FDP, SPD und den Grünen, soll über einen fraktionsübergreifenden Entwurf abgestimmt werden, der in erster Linie von SPD und Liberalen getragen wird. Wie schon 1992 spricht sich eine Unions-Minderheit für ein absolutes Abtreibungsverbot aus. Hinzu kommt ein abweichender Entwurf der Grünen, der für die ersatzlose Streichung des Paragraphen 218 plädiert.
Was heute noch ein Zukunftsszenario ist, könnte so oder ähnlich bald Wirklichkeit sein. Erst letztes Wochenende verabschiedete die Berliner Landesdelegiertenkonferenz der Bündnisgrünen einen Antrag, mit dem die Grünen in Bonn aufgefordert werden, ihren Gesetzentwurf zum Abtreibungsrecht zurückzuziehen. Die BerlinerInnen werfen den BonnerInnen vor, sie würden in ihrem Entwurf „die Paradoxien des BVerfG-Urteils“ übernehmen, ließen sich auf die Vorgaben einer „Zwangsberatung“ ein und verließen damit jeglichen grünen „Grundkonsens“: die Forderung nach ersatzloser Streichung des Paragraphen 218.
Andere Bündnisgrüne betreiben nicht diese Fundamentalkritik. So verabschiedeten die NRW-Grünen am Wochenende einen Antrag, in dem sie eine Anhörung von ExpertInnen zum Gesetzentwurf fordern. Diese Anhörung, so beschloß es der Fraktionsvorstand am Montag abend, soll schon in Kürze stattfinden. Diverse Parteifrauen aus den Landesverbänden, die letzten Freitag in Bonn zu einem internen Gespräch mit den grünen Fraktionsfrauen zusammentrafen, forderten außerdem Verbesserungen des Gesetzentwurfs ein. Angesichts der ungesicherten Situation von Beratungsstellen wie Pro Familia solle der Entwurf explizit deren finanzielle Absicherung festschreiben. Uneinig sind sich die grünen Frauen noch über den Punkt der „sozialen Indikation“. Der bündnisgrüne Gesetzentwurf sieht bislang vor, daß Frauen sich freiwillig einem Indikationsgespräch unterziehen können, in dem sie ihre soziale Notlage darlegen. Mit der Bescheinigung einer sozialen Indikation hätten sie dann Anrecht darauf, daß die Krankenkasse ihren Schwangerschaftsabbruch finanziert. Gestern nachmittag wollte die grüne Fraktion über das weitere Vorgehen in Sachen 218 beraten. Ausgangspunkt dafür ist ein Beschluß des Fraktionsvorstands vom Montag abend. Darin wird bekräftigt, daß die Grünen ihren Gesetzentwurf nicht zurückziehen werden, sondern fristgemäß in den Bundestag einbringen.
Auch SPD und Liberale haben inzwischen eigene Gesetzentwürfe zum Abtreibungsrecht vorgelegt. Beide Entwürfe gehen, wie die Grünen, davon aus, daß eine Frau, die sich in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft zur Abtreibung entschließt, sich nicht strafbar macht. Wie die Grünen halten es auch SPD und FDP innerhalb des Abtreibungsrechts für unmöglich, das familiäre Umfeld einer Schwangeren zu bestrafen, sollte dieses die Frau zum Schwangerschaftsabbruch nötigen.
Auch bei der Finanzierung von Abtreibungen haben Liberale und SozialdemokratInnen gleiche Vorstellungen. Frauen, deren Nettoeinkommen 1.900 Mark und weniger beträgt, sollen künftig den Schwangerschaftsabbruch von der Krankenkasse finanziert bekommen. Diese kann sich den Betrag anschließend vom Bund (SPD) oder von den Ländern (FDP) zurückerstatten lassen. Auf diese Weise soll Frauen der entwürdigende Gang zum Sozialalmt erspart bleiben. Einzig was die Regelung der Beratung betrifft, greifen die Liberalen auf die alte Formulierung zurück, die sich schon in dem gemeinsamen Entwurf von CDU/CSU und FDP von 1994 findet. Bei den Liberalen heißt es: Die Beratung solle „der Frau helfen, eine gewissenhafte Entscheidung in dem Bewußtsein zu treffen, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft ein eigenes Recht auf Leben hat ...“
Trotz dieser Formulierung, die bei der SPD auf massive Kritik stößt, halten CSU-Abgeordnete den FDP-Entwurf mittlerweile für verfassungsrechtlich bedenklich. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos sagte gestern, die Vorlage der FDP halte sich nicht an die klare Rangordnung des BVerfG, nach dem der Schutz des ungeborenen Lebens Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau habe. Gleichzeitig ist die Union natürlich eingeschnappt. Da erdreistet sich ihr kleiner Koalitionspartner, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen, und dieser weicht auch noch gravierend vom alten gemeinsamen Entwurf ab. Diesen gemeinsamen Entwurf von 1994 wird die Union erneut in den Bundestag einbringen. Darin heißt es unter anderem, daß finanziell bedürftige Frauen sich an das Sozialamt wenden sollen, um eine Abtreibung zu finanzieren. Gleichzeitig droht Angehörigen, die eine Schwangere zur Abtreibung nötigen, eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren. Im letzten Jahr war dieser Entwurf mit den Stimmen von CDU, CSU und FDP im Bundestag verabschiedet worden, scheiterte dann jedoch an der SPD- Mehrheit im Bundesrat. Siehe Kommentar Seite 10
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