piwik no script img

Bernhard Minetti wird 90

In Berlin konnte man ihm in den letzten Jahren häufig im Theater begegnen, immer flankiert von seiner rothaarigen Frau Elisabeth, so daß dieses schöne alte Paar stets schon von ferne zu erkennen war. Minetti, der Theatergänger; Rollen gab es für den schroffen alten Mann in den letzten Jahren nur noch wenige, zuletzt spielte er den Puck in Hans Neuenfels' Inszenierung vom „Sommernachtstraum“. Doch aus der Traum: Das Schiller Theater wurde Ende 1992 geschlossen. Auch Minetti erhielt die Kündigung mit der Post.

Geboren wurde der Sohn eines italienischstämmigen Architekten am 26. Januar 1905 in Kiel. Sein Handwerk lernte er bei Leopold Jeßner in Berlin, wo er von 1930 bis 1944 konstant arbeitete – Mitglied des berüchtigten Preußischen Staatstheaters, mit dem Gustaf Gründgens geschickt durch die Nazizeit lavierte. Mitte der sechziger Jahre kehrte Minetti nach einer Odyssee durch die neue Bundesrepublik nach Berlin zurück.

So richtig berühmt, eben eine Theaterlegende, wurde er erst in den siebziger Jahren durch die Begegnung mit Thomas Bernhard. Er arbeitete auch an der Berliner Schaubühne. Sein wichtigster Regisseur hieß Klaus Michael Grüber.

Minetti ist unverkennbar Minetti geworden, schon lange bevor ihm Bernhard einen Stücktitel geschenkt hat. Ein Schauspieler mit Leib und Seele, der sich eine künstlerische „Schutzhaut“ zugelegt hat, durch die er bestimmte Dinge gar nicht an sich heran ließ in jenen Jahren zwischen 1933 und 1945. In einem Interview mit André Müller meinte der Schauspieler: „Das Hinsehen hätte mich zu sehr bedrängt ... Ich darf, um die Verzweiflung eines Hamlet spielen zu können, nicht im Leben der Hamlet sein.“ Die ungebrochene Lebenslust nimmt man ihm ab, die scheinbar auf einer Art Schizophrenie und Verdrängungsstrategie gründet; ist diese Schizophrenie echt, wird sie gelebt, so ist auch die gespielte Verzweiflung echt, lebensecht. Aber was gespielt und was echt ist, das muß wohl das Faszinosum Minetti ausmachen. Sabine Seifert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen