: Morgen wird in Berlin der Parteitag der PDS eröffnet. Die „demokratischen Sozialisten“ müssen bei dieser Gelegenheit entscheiden, ob sie mehr demokratisch oder mehr sozialistisch sein wollen. Es wird dramatisch zugehen. Von Wolfgang Gast
Es geht um die Zukunft der PDS!
Wer mich loswerden will, der muß mich schon rauswerfen“. Trotzig hält Sahra Wagenknecht, derzeit das bekannteste Mitglied der „Kommunistischen Plattform“ in der PDS, am Verbleib in der Partei und an ihrer Kandidatur für die Vorstandswahlen beim Parteitag am kommenden Wochenende fest. Den Genossinnen und Genossen um Parteichef Lothar Bisky und Bundestagsgruppenchef Gregor Gysi kommt das höchst ungelegen. Bisky bekannte jüngst, es laufe ihm „kalt den Rücken runter“, wenn er Aufsätze seiner Vorstandskollegin lesen müsse. Scharf attackierte der Parteichef die junge Dogmatikerin auf einer Sitzung des 18köpfigen Parteivorstandes. Coram publico teilte er ihr Montag letzter Woche mit: „Ich meine nicht, daß du in den Vorstand gehörst“.
Auch Gregor Gysi, ohne den die Partei des demokratischen Sozialismus nicht wäre, was sie ist, knüpft Bedingungen an eine Vorstandskandidatur: Darunter die, daß Sahra Wagenknecht im Führungsgremium künftig nicht vertreten sein darf. Auch Chefstratege und Wahlkampfkoordinator André Brie äußerte nur schlecht verhüllt den Wunsch nach einem Abgang der Ungeliebten. Er hoffe, der 25jährigen werde die PDS „allmählich verleidet“.
In der Auseinandersetzung um Dogmatikerin Wagenknecht und um die von ihr vertretene Kommunistische Plattform kulminiert die derzeit tobende Debatte in der PDS – ganz unabhängig von der Bedeutung, die der Splittergruppe KPF in der PDS zukommt. Gestritten wird um das Wohl und Wehe der PDS, um den weiteren Weg der Partei und um die korrekte Einschätzung von DDR- wie SED-Vergangenheit. Auslöser dafür sind zehn Thesen, die der Parteivorstand Anfang Dezember vorgelegt hat.
Nach erfolgreichem Abschneiden bei den Landtagswahlen in Deutschland Ost und dem Wiedereinzug in den Bundestag beabsichtigte die Parteispitze, der PDS ein Reformprogamm zu verpassen. Sie sollte regierungstauglich werden, endlich sollte die Auseinandersetzung mit den links-dogmatischen Strömungen geführt werden – nicht zuletzt geht es dabei auch um den Aufbau neuer Landesver bände in Deutschland West.
Besonders umstritten sind dabei Formulierungen, die Teile der Partei – weit über die KPF hinaus – als Abschied vom Klassenkampf interpretieren. „Da es um das Überleben der Menschheit geht“, heißt es etwa in These Nummer vier, „lassen sich die Probleme der Gegenwart und Zukunft nicht mit einem vereinfachten und reduzierten Denken in den Kategorien von Klassenkampf und Sozialpartnerschaft erfassen“. Statt auf Klassenkampf, setzte die PDS-Führung auf einen notwendigen neuen „Gesellschaftsvertrag“: „Trotz aller Widersprüche zwischen den verschiedenen Klassen, Schichten und Gruppen der Gesellschaft (wird es) ohne eine neue Übereinkunft zwischen ihnen keine veränderte Entwicklungsrichtung in der Produktions-, Konsumptions- und Lebensweise geben“.
Für orthodoxe Kommunisten eine glatte Häresie. In der Generaldebatte, die morgen in der ehemaligen SED-Parteihochschule im Haus am Köllnischen Park geführt werden soll, dürfte geharnischte Kritik auch über These Nummer acht hageln. Stein des Anstoßes ist der geforderte „Bruch mit der zentralistischen, demokratiefeindlichen Politik der SED, dem Stalinismus. Ein Zurück zu den politischen Strukturen der DDR gibt es für uns nicht“. Die DDR – alles Müll gewesen? Das geht etlichen der GenossInnen zu weit. Auch ohne Hang zum Stalinismus oder ideologischer Nähe zur KPF.
Die Debatte über das politische Selbstverständnis sucht der Parteivorstand nun selbst einzudämmen. So werden beim Parteitag die zehn Thesen des Parteivorstandes erst gar nicht zur Abstimmung gestellt, sie wurden flugs zur bloßen Vorlage für die weitere Diskussion erklärt.
Verabschiedet werden soll dagegen ein Initiativantrag, den die Vorständler Bisky, Gysi und der Ehrenvorsitzende der PDS, der einstige DDR-Ministerpräsident Modrow, „zu den fünf wichtigsten Diskussionspunkten der gegenwärtigen Debatte in der PDS“ eingebracht haben. Wichtig schien den Parteireformern vor allem die Einbeziehung Modrows, er gilt als Integrationsfigur vor allem für die älteren PDS-Semester, und deren gibt es viele. Über 50 Prozent der rund 140.000 Parteimitglieder sind im Rentenalter.
Formuliert wird im neuen Antrag: „Wir werden der These vom Unrechtsstaat widersprechen, weil sie in ihrer Konsequenz bedeutet, der DDR das Existenzrecht abzusprechen und ihren Bürgerinnen und Bürgern vorzuwerfen, sich auf ein Leben in der DDR auf der Grundlage ihrer Verfassung und Gesetze eingestellt zu haben“. Hardliner wie Sahra Wagenknecht oder ihre KPF-Kollegin Ellen Brombacher lehnen die Kompromißformel ab.
Donnerstag letzter Woche, bei einer Veranstaltung der jungen Welt zum Thema „Auf dem Weg nach Bad Godesberg – Die PDS, ihre zehn Thesen und ihre fünf Punkte“, ereiferte sich Brombacher über die neuformulierte Aussage zum „sozialistischen Charakter der PDS“. Diese heißt nun: „Damit verbunden ist die unumkehrbare Absage an ein stalinistisches oder poststalinistisches Modell, das heißt an Sozialismusvorstellungen mit diktatorischem, antiemanzipatorischem, antidemokratischem und zentralistischem Charakter“.
Mit der Aufnahme der Formulierung „poststalinistisch“, behauptete die KPF-Frau, werde das ganze „Grundgefüge“ abgelehnt „und damit die Legitimation des sozialistischen Versuches“ auf deutschem Boden. Nicht mit ihr!
Auf dem Parteitag ist der Streit um das neue Papier damit wohl vorprogrammiert. Parteichef Bisky und der Bonner Frontmann Gysi sind aber entschlossen, auf eine Verabschiedung ihrer Formulierungen ohne inhaltliche Korrekturen zu bestehen. Beide machen ihren Verbleib im Parteivorstand davon abhängig.
Der Initiativantrag dürfte aller Warscheinlichkeit nach durchkommen, denn weder auf den Medienprofi Gysi noch auf den populären Bisky wird die große Mehrheit der Delegierten verzichten wollen. Für den Druck der Parteioberen (Bisky: „Ich bin der Erpresser, jetzt erpreßt bitte nicht mich“) könnten sich die Delegierten aber schon am Sonntag rächen – wenn nach dem Parteichef, seinen Stellvertretern und dem Bundesschatzmeister der Rest des 18köpfigen Vorstandes gewählt wird.
Trotz gerade beschlossenen Grundsatzpapiers könnten die Delegierten dafür votieren, daß kommunistische Positionen, das heißt auch Sahra Wagenknecht, im Vorstand nicht ausgegrenzt werden. Was dann passiert, ist völlig offen. Rund 250 der über 600 Delegiertenstimmen reichen, die PDS ins Führungschaos zu stürzen.
Zoff kann es auf dem Parteitag auch wegen der Kandidatur von Parteivorständler André Brie zum Bundesgeschäftsführer geben. Erregt werden die Gemüter dabei weniger von dessen langjähriger IM-Tätigkeit, die Brie wie auch Gysi so lange wie ergebnislos zu verbergen suchten. Im Karl-Liebknecht-Haus, der Berliner PDS- Zentrale, will zwar keiner offen gegen den Parteivordenker auftreten, intern gilt Brie dennoch als ausgesprochen schwierig, als zu eigenwillig und unkommunikativ. Wutausbrüche und knallende Türen sollen den Stil seiner politischen Auseinandersetzungen charakterisieren. Die Arbeitsgemeinschaft junger GenossInnen, deren Mitglied Angela Marquardt am Wochenende zur stellvertretenden Parteichefin gewählt werden soll, fürchtet mit der Wahl Bries so etwas wie einen neuen „Generalsekretär“. Den Jungen in der PDS ist die Machtfülle unheimlich, die Brie ihres Erachtens auf sich vereinigen will.
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