: Weder militärischer Drill noch Indoktrination
■ Keine weitere Kita-Einsparungen im Ostteil / Berührungsängste im Westteil
Die Situation im Kita-Bereich wird immer dramatischer, sagte gestern der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Erhard Laube, vor Journalisten. Zunehmend geraten die Kindertagesstätten unter den Druck der angespannten Haushaltslage. Vor allem der massive Stellenabbau im Ostteil der Stadt, aber auch größere Gruppen, höhere Elternbeiträge und kürzere Öffnungszeiten bringe Eltern, Erzieherinnen und Kinder in immer größere Nöte. Zusätzliche Gefahr drohe jetzt durch einen Rechnungshofbericht, der Ende 94 veröffentlich wurde.
Danach sind die Ost-Kitas viel zu teuer. Der Bedarf sei bereits erfüllt, wenn die Kita-Plätze für die Kinder im Alter von 0 bis 9 Jahre auf 70 Prozent reduziert würden, behauptet der Rechnungshof. Nach Angaben des GEW-Vorsitzenden Erhard Laube würden damit mehr als 15.000 Plätze wegfallen. Ergebnis: Dann gäbe es im Ostteil der Stadt die gleichen Wartelisten wie im Westteil, wo zur Zeit 28.000 Kinder auf einen Kita- Platz warten. „Was die Kitas angeht, wird es keine Änderung der aktuellen Senatspolitk geben“, versichert dagegen die Jugendverwaltung auf Nachfrage. Für die Senatspolitik gelte, daß bis 1996 der Rechtsanspruch auf einen Kita- Platz eingelöst werden soll.
Offenbar ist der Rechnungshofbericht schon heute Schnee von gestern. An der Situation der Berliner Kitas ändert das aber nichts: Sie ist und bleibt angespannt. Wie vom Senat beschlossen werden in diesem Jahr im Osten 2.000 Stellen und im nächsten Jahr noch einmal 350 Stellen abgebaut.
Als heißer Tip für verzweifelte Eltern gilt bislang noch: Wer in den West-Bezirken für seinen Sprößling keinen Krippen- oder Kindergartenplatz findet, sollte sich an die angrenzenden Ost-Bezirke wenden. Dort gibt es bis jetzt noch freie Kita-Plätze.
Über die bei Eltern im Westteil verbreiteten Befürchtungen spöttelt Hans-Martin Fleischer vom Bezirksamt Treptow: „Ich kann versichern, hier findet weder der paramilitärische Drill noch marxistisch-leninistische Indoktrination statt, sondern hier gelten die gleichen pädagogischen und erzieherischen Grundsätze wie im Westen.“
Treptow ist nicht der einzige Ost-Bezirk, der für seine freien Kita-Plätze kräftig die Werbetrommel schlägt. Allein Kreuzberg hat über 800 Kinder in Kitas der angrenzenden Bezirke Mitte und Friedrichshain vermitteln können. Oft seien es wirklich nur ein paar Straßenzüge, die Ost-Kita von der West-Kita trennen, weiß Herbert Heller vom Bezirksamt Kreuzberg.
Die Ost-Bezirke sind jedoch in einer Zwickmühle. Trommeln sie in der Öffentlichkeit allzu heftig für ihre freien Plätze, werden sie schnell von der Sparwut des Senats erfaßt, die heißt: keine Kinder, keine Stellen – und die Erzieherinnen kommen auf die Überhangliste. „Die Stelle ist weg.“ Doch der Bedarf sei da, und es werde sich bitter rächen, würde man die Kita- Struktur der Ost-Bezirke weiter zerschlagen, meinte Hans Martin Fleischer vom Bezirksamt Treptow.
Ebenso sieht das die GEW. Nach den Planungen des Senats würden allein im Westteil im Kindergartenbereich 7.000 Plätze fehlen, um nächstes Jahr den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz umzusetzen. Michaela Eck
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