piwik no script img

In Kreuzberg keine Chance für die Stechuhr

■ Zwei Abteilungen dafür, doch Personalrat blockiert: Modellversuch zur Zeiterfassung vorerst gescheitert

Chip-Karten und Lesegerät statt Bleistift und Gleitzeitbogen sind im Bezirksamt Kreuzberg unerwünscht. Die Forderung von Bürgermeister Strieder (SPD), die Arbeitszeit der MitarbeiterInnen künftig mit elektronischen Stechuhren zu überprüfen, ist vorerst an der notwendigen Zustimmung der Personalvertretung gescheitert. Die will von dem einjährigen Modellversuch nichts wissen, obwohl sich Mitarbeiter von zwei Abteilungen mehrheitlich für den Versuch ausgesprochen haben.

Der Vorsitzende des Personalrats, Wolfgang Dennier, hat „grundsätzliche, erhebliche“ Bedenken gegen die sekundengenaue Kontrolle der Arbeitszeit. Daß Strieder mit Hilfe von Stechuhren das schlechte Image der faulen und nur sporadisch anwesenden Beamten und Angestellten aufpolieren will, glaubt Personalrat Dennier nicht. „Hier werden in Bausch und Bogen die Kollegen diskreditiert“, ärgert er sich. Daß im Frühjahr 1994 das Wirtschaftsamt für eine Woche geschlossen war, weil alle Beamten angeblich krank waren, ficht ihn nicht an.

Auch das zusätzliche Bonbon Strieders, die Arbeitszeiten in den Abteilungen flexibler zu gestalten, konnte den Personalrat nicht umstimmen. So sollten Chip-Karten- BesitzerInnen zukünftig statt einer halben Stunde stolze neunzig Minuten Pause machen dürfen. Außerdem soll die Rahmenarbeitszeit von 6 Uhr morgens bis 19.30 Uhr ausgedehnt werden.

Unter den Beschäftigten, die ab dem Frühling jeden Morgen und Nachmittag ihre Plastikkarte in den Zeitentwerter stecken sollten, ist die Stimmung gespalten. Bei einer Personalversammlung der für den Modellversuch ausgewählten drei Abteilungen stimmten die MitarbeiterInnen des Verwaltungsamts gegen die automatisierte Gleitzeiterfassung. Die Personalverwaltung dagegen sprach sich für das neue System aus. Beim Sozialamt war die Zustimmung nur hauchdünn: 21 von 40 Beschäftigten wollten die Chip-Karte.

Weil der Personalrat trotz der Ablehnung „weitere Gesprächsbereitschaft“ signalisiert, gibt sich Peter Strieder optimistisch: Er ist sich sicher, daß es doch noch zu einer positiven Vereinbarung kommen wird. Sonst geht es ihm ähnlich wie seinem Amtskollegen Uwe Saager (SPD) in Schöneberg. Der wollte im Mai 1994 seine MitarbeiterInnen von den Vorzügen der modernen Zeiterfassung überzeugen – vergebens. Nach wütenden Protestveranstaltungen und einem offenen Brief gab Saager klein bei, seitdem ist das Thema Stechuhr erst einmal vom Tisch. Doch der Kreuzberger Bürgermeister will hartnäckiger sein. Entscheidet sich der Personalrat endgültig gegen den Modellversuch, will Strieder die nächste Instanz einschalten, den Hauptpersonalrat, der für alle Bezirksämter zuständig ist. Julia Naumann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen