: Einen Monat außer Betrieb
■ Die Roststellen des 40jährigen Körpers verlangen nach Behandlung. Wie beantragt man eine Kur?
Eine Kur ist für die meisten jungen Menschen weiter entfernt als ein Trip in die entlegendsten Ecken der Welt. Die Kurklinik umweht der Duft des Alters: KurgängerInnen sind gebrechlich genug, um nurmehr als Schatten ihrer selbst zu agieren, aber doch vital genug, um noch Kurschatten zu werfen. Und so fühlen sich zunehmend die angesprochen, die auf die vierzig zugehen. Aber wie kommt man überhaupt zu einer Kur?
Der erste Schritt geht in jedem Fall über die Schwelle der HausärztIn. Hat die ihr Placet gegeben, wird ein Antrag bei der Krankenkasse oder formlos gleich bei den Rentenversicherungsträgern gestellt. Diese treten immer dann in die (zahlende) Verantwortung, wenn es gilt, die Arbeitskraft, die Erwerbsfähigkeit der AntragstellerInnen durch eine Kur zu erhalten oder zu verbessern. Für Reha-Maßnahmen bei unheilbaren Krankheiten haften, abgesehen von Krebs, demgegenüber die Krankenkassen. Streitfälle können zuweilen lange Wartezeiten nach sich ziehen, die normalerweise bei etwa drei Monaten liegen.
Sind die Krankenkassen für einen Kurantrag verantwortlich, folgt zunächst automatisch die Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK). In Bremen begutachten 20 fest angestellte ÄrztInnen etwa 2.000 Anträge pro Jahr. Über die durchschnittliche Zahl nicht befürworteter Anträge werden dort leider keine Zahlen erhoben. Anders die Rentenversicherungsträger: 75 bis 80 Prozent aller Anträge, teilen übereinstimmend die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) in Berlin sowie die Landesversicherungsanstalt (LVA) Oldenburg-Bremen mit, werden dort anerkannt. Auch sie haben einen eigenen Sozialmedizinischen Ärztedienst (SMD) und überprüfen jeden Antrag, allerdings müssen nicht alle potentiellen KurgängerInnen mit einer neuerlichen medizinischen Untersuchung rechnen. Die fünf SMD-ÄrztInnen in Bremen greifen stattdessen, wenn möglich, auf bereits bestehende Gutachten zurück. Geben SMD oder MDK grünes Licht, steht einer Kur nichts mehr im Wege.
Ein Anspruch darauf, vier Wochen außer Betrieb zu laufen, besteht alle drei Jahre. Scheint den Medizinischen Diensten der Anspruch begründet, wird dem Antrag stattgegeben. Die BfA hat 1991, neuere Zahlen liegen noch nicht vor, 3.856 Bremer Kurwilligen die Freikarte gegeben, die LVA lag 1993 bei etwa 9.800. Krankenkassen und Rentenversicherungsträger stellen eine klare Altershierarchie fest: Die klassische Klientel der AntragstellerInnen besteht aus 45- bis 55jährigen, Menschen also, die mitten im Berufsleben stehen. Etwa doppelt so viele Männer wie Frauen. Menschen ausländischer Herkunft sind nur zu rund drei Prozent vertreten.
Insgesamt aber sind die Menschen von heute wesentlich kurfreudiger als etwa vor zehn Jahren. Liegt das an einfacheren Verfahren, einem neuen Gesundheitsbewußtsein, oder gibt es schlichtweg mehr Krankheiten? „Eine philosophische Frage“, kommentiert Winfried Harms von der BfA, „die kann man so nicht beantworten.“ Ein deutlicher Anstieg sei bei den psychosomatischen Krankheiten festzustellen, aber diese seien halt früher als Herz- oder Magenkrankheit durchgegangen. Allgemeine Regel aber sei, bestätigt Harro Bruns von der LVA Oldenburg/Bremen: In schwachen Wirtschaftszeiten sinkt insgesamt die Zahl der Anträge, strebt die Konjunktur aufwärts, steigen auch die Antragszahlen. Eine Ausnahme machen lediglich die neuen Bundesländer: Hier registriert Winfried Harms einen starken Anstieg.
Je nach Art der Erkrankung wird der Kurort festgelegt. Die PatientInnen haben Mitspracherecht, aber wer denkt, seine Kur am Urlaubsort absolvieren zu können, irrt: Die berühmte Reise ans Tote Meer ergattern wirklich nur jene, die unter schwerer Schuppenflechte leiden. „Wir sind eine Krankenkasse und kein Reisebüro“, kommentiert eine Sachbearbeiterin nüchtern. Daher sei auch der Kurschatten höchst unerwünscht. „Da sind auch die Kurkliniken knallhart. Wenn die zwei erwischen, dürfen die beide abreisen.“ Dora Hartmann
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