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„Nur das vorhandene Material“

■ Prof. Gerhard Walter vom Institut für Neuropathologie an der MHH (Hannover) befürwortet Experimente für Therapiezwecke

taz: Herr Walter, Ihnen wird vorgeworfen, daß Sie bei Ihren geplanten Experimenten Frauen als Gewebeplantagen ausnutzen.

Gerhard Walter: Man muß die geplanten Experimente der Krankheit gegenüberstellen, von der die Rede ist. Parkinson-Patienten sind schwer krank, sie können nicht allein über die Straße gegen, sich nicht selbst anziehen. Auch die Angehörigen stehen unter einem enormen Leidensdruck. Wir haben hier die Möglichkeit, diesen schwer leidenden Menschen mit einer Therapie zu helfen, bei der wir Gewebe verwenden, das ja schon vorliegt.

In der Bundesrepublik gibt es etwa 100.000 an Parkinson Erkrankte. Sollte sich diese Therapieform etablieren, würde doch ein riesiger Bedarf bestehen?

Nicht alle sind so schwer erkrankt, daß sie für diese Therapie in Frage kommen. Bei den weniger schweren Fällen schlagen die herkömmlichen Therapieformen an.

Aber könnte für die Frauen nicht der Druck entstehen, die abgetriebenen Embryonen zur Verwendung freizugeben?

Wir fördern doch nicht die Abtreibung. Wir verwenden nur etwas, was vorhanden ist. Wenn Frauen nicht damit einverstanden sind, dann regelt sich das von selbst.

Es gibt eine weitere Arbeitsgruppe in Aachen, die, ermutigt durch die Parkinson-Experimente, ähnliche Versuche bei Patienten mit Chorea-Huntington (Gehirnkrankheit, bei der sämtliche Gehirnfunktionen gestört werden; d. Red.) vorbereitet.

Das ist richtig. Auch bei anderen Krankheiten wie etwa Alzheimer wird daran gedacht. Allerdings gibt es den Vorbehalt, daß hier ein Markt für embryonales Gewebe entsteht.

Die vorliegenden Ergebnisse über Heilerfolge sind doch sehr widersprüchlich. Klingt die Besserung nicht nach einiger Zeit ab?

Das ist mit darauf zurückzuführen, daß die Arbeitsgruppen unter anderem in Schweden, den USA, Mexiko und Frankreich unterschiedliche Methoden benutzen. So wachsen nur etwa fünf Prozent der transplantierten Zellen an. Und es ist richtig, daß die Besserung in vielen Fällen nur wenige Monate anhält. Erfolge konnten aber auch schon bis zu drei Jahre nach der Operation nachgewiesen werden. Ohne den Patienten zu große Hoffnung zu machen – wir sind doch erst im Experimentierstadium. Mit der Therapie können wir nur die Folgen kurieren. Aber die Versuche geben uns doch auch Auskunft über die Pathogenese, die Ursachen der Krankheit, so daß wir andere Therapien entwickeln können. In den USA wird daran geforscht, körpereigene Zellen gentechnisch zu verändern und sie zu transplantieren. Dann stellen sich die ethischen Probleme gar nicht mehr in dieser Form.

Vom Transplantations-Netzwerk Nectar sind Empfehlungen für die Durchführung ausgesprochen worden. Darin heißt es, daß die Verwendung der Embryonen nicht zu einer Beeinflussung des Zeitpunktes der Abtreibung führen darf.

In der Bundesrepublik werden jeden Tag zahlreiche Abtreibungen durchgeführt. Der Zeitpunkt wird von uns nicht beeinflußt. Wir nehmen nur das Material, das vorhanden ist.

Vorgesehen ist auch, daß Frauen Auskunft darüber geben müssen, ob sie selbst oder ihr Partner Geschlechtskrankheiten hatte oder hat.

Dazu ist nur eine kleine Blutprobe notwendig. Untersucht wird zum Beispiel, ob sie Aids haben oder mit Hepatitisviren infiziert sind. Den Patienten muß doch eine Sicherheit gegeben werden.

Bis zu acht Embryonen sind für eine Operation notwendig. Müssen die Abtreibungen denn nicht genau terminiert werden?

Soweit sind wir in der Planung noch nicht. Wir wollen jetzt erst die ethischen Fragen klären.

Es liegt doch eine genaue Versuchsplanung bei der Ethikkommission zur Begutachtung vor?

Die Ethikkommission hat zusammen mit uns entschieden, daß vorher geklärt werden muß, ob wir solche Versuche überhaupt durchführen können. Wenn die Gesellschaft sich gegen Abtreibungen ausspricht, dann ist die Sache klar. Um eine Entscheidung herbeizuführen, haben wir ja den Workshop am Wochenende durchgeführt. Interview: Wolfgang Löhr

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