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SanssouciVorschlag

■ Stilkrieg im Suppentopf: Dub War im Marquee

Hart, härter, Earache – so hieß Ende der Achtziger eine im Musikbusineß geläufige Steigerungsformel. Haste 'nen Schaden an der langhaarigen Birne, machste perversen Metal-Krach, gehste zu Earache. Das Kleinlabel aus dem britischen Nottingham warb mit dem Slogan „making music obsolete“ – und sammelte zu diesem Zweck antimusikalische Extremisten verschiedenster Couleur unter seinem Banner. Grindcore-Schmuddelkinder wie Napalm Death und Sore Throat durften hier um den Titel der schnellsten Band der Welt wetteifern, indem sie 50 Stücke und mehr auf ihre Platten grunzten; Schockspezialisten wie Carcass röhrten von Verwesung und Kannibalismus und collagierten ihre Cover aus der großen Wundbrand- und Eiter-Enzyklopädie zusammen; Death-Metal-Sensenmänner wie Morbid Angel aus Florida, die im eigenen Land keinen Fuß mehr auf den Boden kriegten, konnten via Nottingham am Härte-Thron von Slayer sägen; und sogar Intellektuellen wie John Zorn war Earache ein willkommener Zufluchtsort für Schreikrämpfe, Stilkriege und Splitterprojekte. Ob instinktiv oder von innovativem Verstand getrieben – alle diese Ohrenquäler bemühten sich um besondere Härte, da sie glaubten, in diesem Sektor des musikalischen Ausdrucks am relevantesten fortschreiten zu können.

Und dann das: Im Herbst letzten Jahres brachte Earache die vorher unbekannte Gruppe Dub War heraus, deren erste EP „Mental“ ein Acid-Jazz-Remix des Titelstücks enthielt. Acid Jazz! Auf Earache!! Schockschwerenot!! Würde nun auch die letzte und wehrhafteste Bastion des ehrlichen Krachs vom Dancefieber geschliffen werden? Orthodoxe Metal-Fans brüllten Verrat, doch wer klug war, hörte genauer hin – und stellte fest, daß der Bruch gar nicht so groß war, wie er schien. Im Angesicht der Tatsache, daß das „schneller, verzerrter, lauter“ von einst heute nicht mehr genügt, knüpfen Dub war an John Zorns Vorstellungen vom bedingungslosen Crossover an: Alles, was die Musiker zusammen spielen können, kann funktionieren. Dub War gerät ihr Zeugs nun jedoch nicht postmodern-intellektuell, sondern körperbetont und nach vorne und hinten ausschlagend. Die Band aus dem walisischen Städtchen Newport, die sich erst 1993 gegründet hat und innerhalb von kurzer Zeit zum Lieblingsgeheimtip der englischen Musikpresse avancierte, mischt Metal mit Jazz und Reggae mit Hardcore – im selben Takt, versteht sich. Der dazu noch am ehesten auffallende Bezugspunkt sind die Bad Brains, auch deswegen, weil Dub War mit Sänger Benji eine dem großen HC-Rasta-Priester H. R. nicht unähnliche Figur vorsteht. Doch wo die Bad Brains vor 15 Jahren die Axt nehmen mußten, genügt Dub War heute ein verchromter Quirl und die 22fache Menge an Zutaten – ein neues Rezept für den alten Earache-Eintopf. Johannes Waechter

Heute, 20.30 Uhr, Marquee, Hauptstraße 30, Schöneberg.

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