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Siebzehn Millionen zerrissene Bücher

■ Kuttners „Kurkapelle“ traf in der Volksbühne auf Wiglaf Droste

Drei Wochen nachdem sich der Ex-tazler als ehemaliger Stasi-IM geoutet hatte, trat Jürgen Kuttner wieder ins Licht der Öffentlichkeit. Wie man so sagt. Tausend zumeist junge Menschen und ein paar Kamerateams waren wieder in die Volksbühne gekommen, um Kuttner und die „Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot“ als Gäste in Wiglaf Drostes „Benno Ohnesorg Theater“ zu sehen und sicher auch einen sinnlichen Eindruck vom Stand der Stasi-Dinge zu bekommen.

Allzuviel ist inzwischen nicht geschehen. Akten haben sich bislang nicht gefunden, dafür bekam der „Kultmoderator“ auf Abruf 200 Fanbriefe, die er in seinem Exil an der Ostsee beanwortete. Die meisten der aufgewühlten Teenager wünschten sich, daß er weitermacht: „Es ist wirklich nicht in Ordnung, daß du so was mitgemacht hast. Aber wir wollen trotzdem nicht auf dich verzichten“, schrieben sie und hatten ihren Briefen zuweilen auch eine Briefmarke beigefügt, um ihren Star vor dem „Armenhaus“ zu bewahren.

Doch zurück zu den Dingen. Zwei Stunden lang wechselten die Protagonisten des Abends einander ab. Droste las Droste. Kuttner, der neben dem kräftigen Ex-Bielefelder, den man sich als Begleitperson wünscht, wenn einem fiese Faschos begegnen, recht zart und zierlich wirkte, erläuterte als interner Feuilletonchef der „Kurkapelle“ dies und das und das Musikprogramm. Die 14köpfige Band, in der sich E-Gitarren und allerlei Blasinstrumente seit 86 gut vertragen, spielte. Sehr schön. „Schräg“ sagt man gerne, doch das lassen wir mal, weil das Wort so bescheuert klingt und die gutgelaunte Populär-Nostalgie, mit der sich die „Kurkapelle“ dem Weltliedgut widmet, nicht so ganz trifft. Man freut sich ja auch als Westler, der das Lied von der „Arbeitereinheitsfront“ nur via „Ton Steine Scherben“ kennt, sozialistisch mitzusummen. Auch das Westherz bebt, wenn Frank Schöbels „Wie ein Stern in einer Sommernacht“ freundlich ironisch vorbeikommt.

Die Veranstaltung lebte von Gegensätzen, die sich sehr lehrreich ergänzten. Auf der einen Seite stand Droste, der westlinke Satiriker und brillante Sänger (Howard Carpendale), ein Guter sozusagen, der weiß, wo's langgeht. Einer, der Freunde (Arno Funke) und Feinde (Sahra Wagenknecht, Maxim Biller, Frank Castorf, taz, „PDS“, „Grüne“) beim Namen nennt und entschlossen falsches Bewußtsein geißelt. Wenn er sich über den Betroffenheitsschwachsinn mokiert, rennt er zwar inzwischen offene Türen ein. Sätze wie „es ist Sonntag, und die Süße blutet“, klingen schon leicht kishonesk; über Verse wie: „Wenn ostdeutsche Frauen / sich Mode trauen / dann wird aus Mutti / immer noch Nutti“ hat man keine recht Lust mehr, sich aufzuregen. Und daß es ganz okay und nicht schlimm ist, sich „unten rum“ anzufassen, muß vielleicht auch nicht mehr gesagt werden. Trotzdem ist das natürlich okay, und wenn er zum Beispiel vom Proletariat, das in der Wohnung über ihm lärmt, erzählt, sogar lustig.

Interessant und seltsam war, daß Droste, dem Biographien nur Bücher sind („17 Millionen zerrissene Bücher – das ist doch schlimm“), und Kuttner, der die eigene Geschichte und die der anderen DDRler nicht entwertet haben möchte, sich eigentlich ganz prima ergänzten. Oder: daß die zwei „Biographien“, die sich da präsentierten, die des Bielefelders, der sich immer noch an seinen traumatischen Westerfahrungen abarbeitet – Flokatis, Schuhcremerauchen, Räucherkerzen, Mofas und Keith Jarretts Köln-Concert –, und die des ehedem engagierten SEDlers – beide repräsentativ wirkten.

Kuttner war souverän, oder so souverän, wie man es eben sein kann, wenn man im Hinterkopf immer daran denken muß, daß die Zuschauer das Gesagte notwendig vor dem Hintergrund der lang zurückliegenden IM-Tätigkeit hören. So wirkt sein sympathisches Lächeln, das zuvor noch ganz unschuldig war, plötzlich entschuldigend. Detlef Kuhlbrodt

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