: Gemballaballa
■ "Aufgegeilt und unbefriedigt" (21.45 Uhr, ARD)
„Ich will so bleiben, wie ich bin“ ist das einzige, was Modelanwärter Guido zu seinem öligen Styling einfällt. Das liegt aber nicht daran, daß der Amateur-Dorian-Gray so sprachlos und dumpf ist, wie Filmemacher Gero Gemballa uns weismacht. Der interessiert sich nämlich nicht wirklich dafür, was in den Köpfen jener Menschen vorgeht, die er mehr oder weniger rüde vor die Kamera zerrt. Denn für ihn steht sowieso schon fest: Sie sind „aufgegeilt und unbefriedigt“.
Wie es sonst nur RTL fertigbringt, fällt Gemballa mit seinem Kameramann in ein Büro ein und stellt den Fitneß-Freak Andreas zur Rede: „Warum machst du denn Bodybuilding? Um in diesem Büro der Schönste zu sein?“ Wenige Sekunden erst läuft der Film. Aber eine schrille Stimme quatscht schon plakative Infos aus dem Off. Es geht Schlag auf Schlag mit „Deutschlands Absturz in die Körperfalle“.
Mindestens Deutschland stürzt also ab, darunter macht es Herr Gemballa nämlich nicht. Denn: „Eine Reizwelle rauscht (sic!) auf Deutschland zu, hoch und gefährlich.“ Derartiges Wortgeblubber kennen wir schon von Tempo und Wiener, die die Unterwanderung des Journalismus durch Werbetexte in den achtziger Jahren betrieben. Wobei Gemballa schon in seinem PR-mäßigen Titel „Aufgegeilt und unbefriedigt“ das Thema verfehlt: Body-Freaks, die ihren Körper trainieren, kneten, schminken und beschneiden, erzielen sehr wohl eine Form der Befriedigung. Welchen Kick die einzelnen Befragten sich mit ihrer Körpermanie jeweils verschaffen, bringt Gemballa allerdings nicht in Erfahrung. Eine gewisse Gereiztheit ist in seinem arroganten Frageduktus daher nicht zu überhören.
Im exklusiven Los-Angeles- Sportclub, entschuldigt er sich, durfte er nur nach Mitternacht drehen. Um einen Hauch von Innenperspektive bemüht, beobachtet die Kamera zwei schmächtige Neuankömmlinge, die sich verschämt am Studioeingang herumdrücken: „Zehn Jahre später, die Prognose sei gewagt, wird der eine so vor dem Spiegel stehen, der andere Filme übers Phänomen drehen“: Der Journalist als Prophet.
Keine Sekunde gönnt uns Gemballa, um selbst zu verstehen. Der Macher beobachtet nicht, beschreibt nicht. Er demonstriert. Ein des Weges trabender Jogger läuft natürlich weg „vor dem, was garantiert kommt: dem Alter“. Jene Sinnperspektive, die Geballa nicht zu zeigen und nicht zu entwickeln vermag, müssen Expertengespräche nachtragen: Prominente Sexualwissenschaftler, Psychiater und Psychoanalytiker kommen so ausführlich zu Wort, als hätte Herr Gemballa eine Talk- Show abgefilmt. Fazit: Gemballaballa. Manfred Riepe
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