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Elendig sterben, aber nicht erbärmlich

Viele Aids-Patienten werden von ihren Familien oder Freunden allein gelassen, doch der Senat will eine private Aids-Betreuung, die „Krankenwohnung im Wedding“, schließen  ■ Von Tomas Niederberghaus

Horst liebt Kappen. Der 35jährige hat mindestens ein gutes Dutzend über sein Bett drapiert – in Rot, in Grün und Gelb, mit Aufdruck und ohne. Links davon schaut ein Harlekin zu ihm runter. Horst liegt im Bett, raucht einen Joint und erzählt. Vor ziemlich genau neun Jahren, sagt er, begannen die ersten Tage seines zweiten Lebens. Horst hat Aids. Im Endstadium. Früher wog er über 80 Kilo, heute bringen Haut und Knochen noch 46 Kilo auf die Waage. Heroin, Koks und Knast haben ihn zu Fall gebracht. Freunde kümmern sich einen Dreck um ihn. „Wenn's den Laden hier nicht gäbe“, erzählt er, „wäre es gestern schon zappenduster gewesen.“

Der Laden heißt „Krankenwohnung im Wedding“ und ist eine private stationäre Pflegedienststelle für Kranke. Acht Pflegekräfte kümmern sich Tag und Nacht um die derzeit vierzehn Patienten. Zudem kommen regelmäßig zwei Ärzte und Sozialarbeiter. Vollservice rund um die Uhr. „Wir möchten für die Leute eine kleine Familie sein“, sagt Kai, Leiter der Krankenpflege. „Es kommen viele Patienten, die keine Familie oder Freunde mehr haben oder von diesen einfach vergessen werden.“ Daneben brächten auch Frauen und Männer ihre schwerkranken Angehörigen, um mal zwei oder drei Wochen Urlaub zu machen.

In der 270 Quadratmeter großen Wohnung gibt es Ein- und Zweibettzimmer, zwei Bäder mit Spezialvorrichtungen, einen Speisesaal, Waschraum und Wohnzimmer, Küche, Abstellkammer und einen medizinischen Pflegedienstraum. Keine Spur von kalkweißem Krankenhausflair. Hier fehlen die kahlen Gänge mit den abwaschbaren Tapeten, die hektische Massenabfertigung, die Kälte der Großklinik. Und der quirlige Mischlingsrüde „Bengel“ bringt Leben in die Wohnung der Todgeweihten. Man mag hier elendig sterben, nicht jedoch erbärmlich.

Leicht ist die Arbeit für Kai und die anderen Pfleger nicht. Einen Menschen bis zum Ende zu versorgen, das heißt jedesmal, auch den eigenen Tod vor Augen zu haben. Supervisionen und Gesprächskreise sollen den Pflegern helfen, damit besser umgehen zu können und auch über die eigenen Probleme zu reden. Stolpersteine und Fallstricke werden ihnen zuhauf in den Weg gelegt. Kai erzählt von anonymen Anrufen, in denen er als „alte Judensau“ oder „Virenschwein“ beschimpft wurde. Deshalb möchte er auch seinen Nachnamen nicht nennen.

Die Privatorganisation „Krankenwohnung im Wedding“ selbst kämpft ebenfalls mit argen Problemen. Die Arbeit mit Aids erweist sich als Politikum. In Spandau haben die Initiatoren eine zweite Wohnung. „Ein Detektiv, für den wir bisher 34.000 Mark gezahlt haben, hat uns mitgeteilt, daß der Senat versucht, die Wohnung mit aller Gewalt zu schließen“, sagt Geschäftsführerin Jutta Probst. Angeblich würden Bestechungsgelder geboten und versucht, Angestellte abzuwerben. Ziel des Senats sei es, eine Konkurrenz zu der ebenfalls in Spandau ansässigen und vom Senat unterstützten „Sozialstation Heerstraße“ auszuschalten. Die Privatorganisation prozessiert gegen den Senat für Soziales. „Damit wollen wir erreichen, daß die Krankenwohnung Spandau nicht als Heim deklariert werden darf. Nach dem Heimgesetz müßte sie geschlossen werden“, sagt Firmenchefin Christiane Koch-Wittrin. Denn die Spandauer Wohnung erfüllt eine wichtige Bedingung für ein Heim nicht: Es gibt nicht in jedem Zimmer ein Bad.

Der Streit, ob Krankenwohnung oder Heim, dreht sich um die Aufenthaltsdauer. Heime nehmen Patienten dauerhaft auf, während Krankenwohnungen vorübergehende Einrichtungen sind, in denen sich die Patienten normalerweise nur sechs Wochen aufhalten. „Dann kommt der Kranke entweder nach Hause oder in ein Heim“, sagt Jutta Probst. Doch für die Zuteilung von Heimplätzen sind die Bezirksämter zuständig. Diese beantragen oft, daß die Menschen länger in der Wohnung versorgt werden, weil sie Schwierigkeiten haben, genügend Heimplätze bereitzustellen. Eine gesetzliche Regelung, die die Aufenthaltsdauer in Krankenwohnungen vorschreibt, gibt es noch nicht.

In Berlin sind nach Angaben von Gesundheitssenator Luther inzwischen über fünfzehntausend Menschen HIV-infiziert oder -krank. Diese steigenden Zahlen der Aids-Patienten und die tragischen Fälle, bei denen Betroffene von ihren Freunden allein gelassen werden (Kai sagt, der Bruch sozialer Kontakte komme häufiger bei Fixern als bei Schwulen vor), sind ein Grund, warum sich die „Krankenwohnung“ künftig ausschließlich um HIV-Patienten kümmern möchte.

Die Lebensgeschichten dieser Kranken lesen sich wie eine Anleitung ins Unglück. Jenny beispielsweise sagt, daß ihr Freund ihr „ganz bewußt zwei persönliche Erinnerungen“ mit auf den Weg gegeben hat – ein Kind und das Virus. Inzwischen hat die 27jährige Aids und Leukämie. Klaus dagegen redet von freier Liebe und dem Unvermögen, sein Schwulsein im Alltag zu leben. Inzwischen habe ihn die Krankheit so weit gebracht, daß er am liebsten „heute einschlafen und morgen nicht mehr aufwachen möchte“.

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