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Die algerische Frau als Kriegsbeute

■ Die FIS will algerische Frauen zu Gegenständen degradieren. Einen Rechtsstaat wird es mit ihnen nicht geben.

Zu Beginn der Acht-Uhr-Nachrichten weist die sichtlich sehr bewegte Journalistin darauf hin, daß die Bilder, die gleich zu sehen sein werden, sehr schwer zu ertragen sind, und daß Kinder und empfindsame Personen entfernt werden sollten. An solche Vorreden sind wir allmählich gewöhnt. Wir warten also auf das Grauen und werden tief hineingetaucht: Zwei junge Mädchen, Saida, fünfzehn, und ihre Schwester Zlikha, einundzwanzig, waren aus ihrer Familie entführt worden, weil sie die „Lustheirat“ verweigert hatten, die ihnen eine Gruppe Terroristen aufzwingen wollte. Ihre Mutter, eine alte Kämpferin aus dem Befreiungskrieg, 52 Jahre alt, wird ebenfalls mitgenommen. Die jungen Frauen wurden vergewaltigt, grausam gefoltert und getötet; ihre Körper sind zerstückelt, ihre Köpfe vom Rumpf getrennt... Das Bild, dieses schreckliche Bild, das keinen Rückzug erlaubt, da niemand mehr sagen kann: „Ich hab' nichts gesehen“, läßt keinen Zweifel aufkommen. Die grobstichigen Nähte, die den Kopf mit dem Körper verbinden, unterstreichen noch die Abscheulichkeit des Verbrechens.

Die Gymnasiastin und die Studentin trugen den Hidjab. Sie fielen also nicht unter die Fatwa1, die seit letzten März Frauen und über zehn Jahre alte Mädchen, die „nackt“, ohne islamischen Schleier das Haus verlassen, mit dem Tod bedroht. Sie kommen aus einer sehr bescheidenen, fast ärmlichen Familie. Man kann ihnen also nicht vorwerfen, daß sie vom System, von Vergünstigungen profitiert haben. Warum also? Saida und Zulikha wurden entführt, vergewaltigt, gefoltert, ermordet und zerstückelt, weil sie die Ehe verweigert hatten, die man ihnen auferlegen wollte.

Lustehe: Es ist der Brauch des zauedj el-mutaa. Ein Vertrag von unbestimmter Dauer (aber selten länger als ein paar Monate) wird zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen. Der Vertrag betrifft vor allem das, was man die von der Frau angebotene „sexuelle Dienstleistung“ nennt. Kinder, die aus einer solchen Ehe entstehen können, bleiben völlig der Frau überlassen, auch, was den Namen betrifft. Solche Kinder sind in einer Welt, die noch traditionsbeladen ist, zu einem unmöglichen Dasein verurteilt.

Dieser Brauch der Lustehe wird vom sunnitischen Ritus, der in Algerien fast durchgehend befolgt wird, nicht anerkannt. Zudem scheint er mit den sogenannten traditionellen Bräuchen nicht in Einklang zu bringen zu sein: Die Ehe betrifft selten nur zwei Individuen; sie ist fast immer – und die Frauen können ein Lied davon singen – eine Verbindung zwischen Familien, Stämmen. Es ist offensichtlich, daß diese Form der Heirat weder in unserer Gesellschaft noch auf religiöser Ebene verwurzelt ist.

Zum ersten Mal hörten wir im Juni 1991 von dieser Praktik, die man seit den frühen Zeiten des Islams verbannt geglaubt hatte. Die streikenden FIS-Anhänger hatten sich in Algier an zwei öffentlichen Plätzen festgesetzt. Eine tadellose Ordnung: Verpflegung, Erste Hilfe, Toiletten, strenge Geschlechtertrennung... Alles ist durchgeplant, perfekt geregelt. Nur eine Sache verwirrt: Es geht das Gerücht über dieses berühmte el-mutaa um, das für die Dauer des Streiks gelten soll!

Frauen, junge Mädchen, Kinder von kaum zwölf Jahren werden in den kommenden Jahren entführt und in den Untergrund verschleppt. Manchmal erhalten die Eltern eine Nachricht: Ihre Tochter ist verheiratet, es geht ihr gut, sie erwartet ein Kind; sie bekommen sie nach dem „Krieg“ zurück... Es kommt vor, daß man die Mutter für die „gute Erziehung“ beglückwünscht, die sie ihrer Tochter zuteil werden ließ: Sie war noch Jungfrau gewesen!

Manchmal werden junge Mädchen, wie Kheira, durch ihren Vater „geliefert“; der schien, da er keine Wahl hatte, das kleinere Übel gewählt zu haben. Kheira wurde in eine Höhle mitgenommen und während drei Nächten von allen vergewaltigt. Frage: Wurde Kheira gemeinsam „geehelicht“ oder reihum? Oder war es einfach eine gemeinschaftliche Vergewaltigung?

Diese Frage führt uns dazu, einen anderen Aspekt der islamistischen Position gegenüber Frauen zu erwähnen: Zwei Fatwas bestimmen erstens, daß das Eigentum des Staates und der Ungläubigen, der kuftar, als Kriegsbeute, als ghanima zu behandeln sind und daß zweitens die Frauen zu diesem Eigentum zu rechnen sind. Man errät, daß jeder, selbst ein sehr einfacher, bescheidener und gläubiger Bürger zum Ungläubigen und seine Frau oder Tochter zur Kriegsbeute erklärt werden kann. In Algerien weiß man, daß ghanima der Vorname einer Frau war, daß tha ghanimath eine Auswahl kleiner köstlicher Feigen bezeichnete... So entdeckt man also mit Grausen, daß jede Algerierin eine ghanima ist, eine Kriegsbeute.

Geheiratet für die Lust, entführt und vergewaltigt... Das Schicksal, das sich für die Algerierinnen abzeichnet, läßt keinen Zweifel aufkommen. So war schon immer das Vorgehen der Islamisten: keine Vorsichtsmaßnahmen treffen und uns keine Hoffnung lassen. Egalitäre Reden also und Wiedereinführung des Rechtsstaates? – Nicht für uns algerische Frauen!

Ein altes Sprichwort mit langer Tradition sagt: „Zum Couscous, die Soße / Zur Ehe, die Einwilligung.“ Für uns Algerier, die wir seit zwei Jahren in einen Strudel gezogen werden, ist Wissen um diese „Tradition“ kostbar. Es gibt uns Halt angesichts einer Sprache, die uns zu Fremden im eigenen Land werden läßt, uns von unserem Land, unserer Kultur vertreibt (denn sie beruft sich auf einen anderen symbolischen Bereich, andere Werte). Die Erinnerung an geführte Kämpfe, läßt uns auf eine Tradition des Widerstands aufbauen.

Diese Erinnerung an Kampf und Widerstand will man uns wegnehmen. Mann will uns zu Strohhalmen machen, die ein gleichmütiger Wind wegfegt und entführt... Das erklärt, weshalb wir versuchen, unsere Bezüge woanders zu suchen, in einer Geschichte, die nicht die unseres Landes ist, in einer anderen Erde, die nicht die unserer Vorfahren ist.

Eines Tages wird die Geschichte des Widerstands geschrieben werden müssen und die jener sogenannten traditionellen Frauen, die man uns als Vorbilder an Unterwürfigkeit vorzeigt. Es ist die gleiche Unterwürfigkeit, die man mit jener Lustehe wieder an ihren Ursprung zurückführen will, die mit einer neuen Melodie wieder alte Verhaltensweisen aufnimmt. Im Prinzip kann die Frau bei dieser Heirat ihre Meinung schon sagen. Aber die Fatwa, die daraus eine Kriegsbeute, eine ghanima, macht, läßt sie noch mehr zu einem Objekt, einem sexuellen Objekt werden; und es ist ja bekannt, daß man einen Gegenstand nicht nach seiner Meinung fragen kann...

Die Autorin ist eine algerische Wissenschaftlerin, die aus Angst vor Verfolgung anonym bleiben möchte.

Übersetzung: Christophe Zerpka

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