: Nachruf mit Visionen
■ Weidedamm-BewohnerInnen in eigener Ausstellung: “Leben im Freiraum“
„Der Weidedamm ist nicht ersetzbar.“ Das, ist Marion überzeugt, gilt für alle 120 Menschen, die zur Zeit auf dem Gelände wohnen. Selbst die etwa 50 Leute, die qua Senatsbeschluß voraussichtlich im März das neue Gelände in Burglesum beziehen, „würden eigentlich lieber am Weidedamm bleiben.“
Daß das politisch nicht mehr durchsetzbar ist, wissen alle. Trotzdem, gemäß dem Motto „Wir haben keine Chance, aber die nutzen wir“ haben sich die BewohnerInnen nach ihrer Demo auf dem Weihnachtsmarkt, nach einem Trauermarsch in der Stadt und der Badeaktion vor dem Rathaus zu einer neuerlichen gemeinsamen Tat zusammengefunden: Am Sonntag wird im Lagerhaus eine Ausstellung eröffnet, die das Leben am Weidedamm aus der Sicht der BewohnerInnen dokumentiert.
Zum einen wollen sie damit das in der Öffentlichkeit verbreitete Bild von der „guten Bürgerinitiative“ einerseits und der „schlechten“ Fraktion andererseits geraderücken. Die BewohnerInnen wollen sich nicht spalten lassen, selbst wenn sie gezwungenermaßen getrennte Wege gehen. Somit fanden alle die Aktionsidee gut, etwa fünfzig von ihnen beteiligen sich an der Ausstellung.
„Wir machen das für den Weidedamm und nicht für Lesum“, das unterstreichen sie doppelt. „Der Weidedamm soll nicht so schnell aus den Köpfen verschwinden wie das Buntentorprojekt. Die Leute sollen sehen, was sie dort kaputtmachen.“ Skulpturen, gemalte Bilder und Fotos aus dem vergangenen Jahr zeigen das „andere Leben“ im Grünen und in der Gemeinschaft, das „Leben in Freiräumen“ wie der Titel lautet.
Anders als Marion gehört Fotograf Ralf Heinze zu denen, die trotz Berechtigung nicht nach Lesum ziehen. „Wenn ich dorthin ginge, wäre das für mich so, als würde ich mich verkaufen,“ erklärt er. Ralf wird am Weidedamm bleiben, solange es eben geht. Und dann? „Weiß nicht. Aber diese Symbolik, die darin liegt, auf einen Friedhof zu ziehen, das ist mir einfach zu heftig.“ Ralf und die anderen wollen „dem Tod des Weidedamm etwas entgegensetzen. Und da gibt uns die Ausstellung neuen Mut.“
Sie hilft außerdem, den eigenen Blick zu wenden: Hin auf das, was an Ideen, Träumen und Erfahrungen gerettet werden kann, und weg von dem, was derzeit das Leben am Weidedamm bestimmt: Unter dem ohrenbetäubendem Lärm von Baggern und Sägen wird nach und nach der erste Bauabschnitt geräumt, werden Hütten abgerissen und Bäume gefällt. Das Gelände um die Karl-Thoma-Allee und den Kuckucksweg ist bereits plattgewalzt. Ein privater Sicherheitsdienst achtet auf Ordnung, indem er, so die BewohnerInnen, selbst hie und da „Fenster einwirft oder sich an Eigentum vergreift“. Häuser, in denen noch Menschen wohnen, werden von Vermessungstechnikern rot markiert. Eins wurde gar abgerissen, während sein nichtsahnender Bewohner gerade auf einem Spaziergang war.
„Der reine Psychoterror“, faßt es Marion zusammen. „Das zehrt, das frißt total auf“, ergänzt Ralf. Derweil wird es auf den anderen Bauabschnitten immer enger, Wagen werden herübergezogen, Häuser mehrfach belegt von Leuten aus dem ersten Abschnitt, wo niemand weiß, wann die eigene Hütte dran ist. Zwei Wagen sind bereits nach Lesum geflüchtet, obgleich es dort, entgegen den Zusagen der Stadt, noch immer kein Wasser und keinen Strom gibt.
Bedingungen, die leicht zu Eskalationen führen. Zumal nach den 11 Festnahmen am 10.1. und fünf weiteren am 19.1.. Die vorübergehend Inhaftierten mußten teilweise Stunden gefesselt in der Zelle verbringen, ohne aufs Klo gehen zu dürfen oder etwas zu essen zu erhalten, berichtet Ralf, der beide Male zu den Festgenommen gehörte. Trotz dieser Vorkommnisse verzichten die AusstellungsmacherInnen daruaf, Räumungsbilder oder Fotos von Auseinandersetzungen mit der Obrigkeit zu zeigen. Ralf Heinze: „Wir wollen die Menschen auf positivem Weg ansprechen, und nicht über den Weg der Anprangerung.“
Dora Hartmann
Die Aussstellung beginnt am Sonntag im Lagerhaus mit großem Kulturprogramm und ist bis zum 5.3. zu sehen.
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