: Der Sieger heißt Lech Walesa
Polens Sejm verabschiedet eine Resolution gegen den Präsidenten / Doch dieser ist schon einen Schritt weiter: Er will nicht das Parlament auflösen, sondern die Regierung spalten ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
Polens Parlament hat am Samstag mit überwältigender Mehrheit eine Resolution angenommen, in der die Absicht von Präsident Walesa, das Parlament aufzulösen, als Verfassungsbruch dargestellt und Walesa mit einem Verfahren vor dem Staatstribunal gedroht wird. Walesa betreibt bereits seit Wochen die Auflösung des Sejm, dem er vorwirft, die Fristen zur Verabschiedung eines ordnungsgemäßen Haushalts überschritten zu haben. Die Fristüberschreitung kam allerdings zustande, weil Walesa sich weigerte, das entsprechende Haushaltsgesetz zu unterschreiben, und es statt dessen vor dem Verfassungsgericht anfocht. In der mit nur 16 Gegenstimmen angenommenen Resolution stellt das Parlament nun fest, der Haushalt sei verfassungs- und fristgemäß verabschiedet worden und biete somit keinen Vorwand für eine Parlamentsauflösung.
Während der Debatte am Samstag kritisierten Redner der Regierungskoalition wie auch der Opposition Walesa heftig und warfen ihm vor, mit seiner Politik nicht nur die Regierung, sondern den Parlamentarismus selbst in Frage zu stellen. Vertreter der oppositionellen Freiheitsunion des früheren Premierministers Mazowiecki erklärten, sie würden das Parlament gegen Walesas Angriffe verteidigen. Parlamentspräsident Jozef Oleksy kündigte an, er werde eine Parlamentsauflösung durch Walesa nicht akzeptieren und das Parlament nach einer solchen Entscheidung sofort einberufen.
Die Einigkeit, die das Parlament über alle Parteigrenzen hinweg zeigte, ist allerdings nur eine scheinbare. Walesas Attacken gegen die Regierung, der er Korruption und Unfähigkeit vorwarf, haben Bauernpartei (PSL) und Sozialdemokraten nur nach außen hin zusammengeschweißt. Hinter den Kulissen dagegen knirscht es gewaltig. Schon vor zwei Wochen hatte Walesa versucht, die Regierungskoalition zu spalten. Er schlug vor, Bauernparteichef Waldemar Pawlak als Premier abzusetzen und durch den Vorsitzenden der Sozialdemokraten, Alexander Kwasniewski, zu ersetzen. Nun verkündete der Pressesprecher des Präsidenten, Pawlak habe Walesa den antikommunistischen und für die Sozialdemokraten absolut unverdaulichen Oppositionspolitiker Romuald Szeremetiew als Verteidigungsminister vorgeschlagen. Diese Kandidatur war aber zwischen den Koalitionspartnern nicht abgesprochen.
Pawlak hat inzwischen zwar dementiert und erklärt, der Vorschlag stamme allein von Walesa, doch das Mißtrauen bleibt. Die Sozialdemokraten fühlen sich von Pawlak hintergegangen und verlangen eine Umbildung des Kabinetts und die Wahl Kwasniewskis zum Premierminister. Pawlak wies das zurück und schlug dem Sozialdemokraten den Posten eines Vizepremiers und Außenministers vor. Eine Regierungsumbildung ist wiederum an die Zustimmung Walesas gebunden – es sei denn, sie erfolgt über ein konstruktives Mißtrauensvotum. An diesem basteln nun die Sozialdemokraten.
Wie ein solches Mißtrauensvotum letztendlich ausgeht, vermag in Warschau allerdings niemand vorauszusehen. Die Freiheitsunion hat die Bildung einer parteiübergreifenden Expertenregierung vorgeschlagen. Hinter den Kulissen verhandeln Vertreter ihres linken Flügels über die Möglichkeit einer gemeinsamen Regierungsbildung mit den Sozialdemokraten – ohne Bauernpartei. Ein PSL-Sprecher warnte daher vor einer Situation, in der „die Sozialdemokraten die Bauernpartei verkaufen, die Bauernpartei die Sozialdemokraten verkaufen und sich am Ende womöglich herausstellt, daß wir alle zusammen Polen verkauft haben“.
So, wie sich die Lage entwickelt hat, kann Walesa zur Zeit nur gewinnen: Stürzt Pawlak, worauf vieles hindeutet, ist er für Walesa als Gegenkandidat bei den Präsidentschaftswahlen im Herbst aus dem Weg. Stürzt er nicht, wird das Parlament aufgelöst. Die Neuwahlen würden Umfragen zufolge zwar wieder PSL und Sozialdemokraten gewinnen, ins Parlament einziehen dürften jedoch außerdem die bisherige außerparlamentarische, Walesa nahestehende Rechte. Schon jetzt lassen manche ihrer Vertretern erkennen, daß sie sich auch einer rechtlich fragwürdigen Auflösung des Parlaments nicht unter allen Umständen entgegensetzen werden. Die Gewerkschaft Solidarność unterstützt Walesa sogar offen, und auch Primas Glemp ließ vorsichtige Sympathie für Walesas Taktik erkennen.
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