■ "Soldaten sind Mörder"
: Adieu, mein kleiner Gardeoffizier

„Soldaten

sind Mörder“

Adieu, mein kleiner Gardeoffizier

Es besteht für mich nicht der geringste Zweifel: Als der sozialdemokratische, aufrührerische, ausgebürgerte und doch für immer deutsch gebliebene satirische Dichter Kurt Tucholsky seine etwas unfeine, keineswegs elegante Provokation „Soldaten sind Mörder“ in Umlauf brachte, wußte er genau, was er tat. Damit beabsichtigte er nicht, wie heute von vielen falsch vermutet, den patriotischen Nerv der wiedervereinten Nation aufzureizen, und gar nicht, einen Bundeswehrzweisternepanzergeneral verfassungswidrig auf die Palme zu mobilisieren. Nein, mit einer solchen unglücklichen Assertion maßte sich der unverbesserliche linke Melancholiker Tucholsky an, sich in eine strikt innere russische Angelegenheit einzumischen und ein zu pathetisches Urteil darüber zu fällen. Sicherlich hatte er – der Berliner Kriegsveteran – beim Anblick der Leichen von Kindern, Greisen, Frauen und anderen Zivilisten in den Straßen von Grosny (pünktlich zu unserem täglichen Abendbrot fernserviert) einfach die Contenance verloren. Womöglich jedoch ist diese Angelegenheit nicht so ausschließlich russisch, wie es einem scheint. Vielleicht ekelte ihn – den Freund von Kafka – die lakonische Zeitungsnachricht an über jene kanadische Elitesoldaten, die während ihrer afrikanischen „Friedensmission“ einen Somalier zu Tode prügelten. Wahrscheinlich erinnerte er – der

Weltbühne-Redakteur – sich wieder an die wahrlich längst vergessene erste und letzte Begegnung zwischen dem südvietnamesischen Dorf My Lai und Lieutenant Calleys Platoon. Mit seiner brüsken Formulierung wollte Tucholsky – das am 10.Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz verbrannte Kind – vielleicht nichts anderes als die kastrativen Methoden der Légion Étrangère gegen die algerischen Rebellen in den fünfziger Jahren kommentieren. Vermutlich meinte er damit aber lediglich die bosnisch-serbischen Soldaten, die auf bosnisch-muslimische Kinder oder die bosnisch-muslimischen Soldaten, die auf bosnisch-serbische Kinder ab und zu versehentlich schießen.

Ja, man sollte ihm – dem ewigen Querulanten – für seinen schroffen Ausbruch ein wenig historisches Verständnis entgegenbringen. Politische Soldaten und soldatische Politiker sollten Tucholskys bösartige Unterstellungen nicht allzu persönlich nehmen und sie nicht unbedingt auf die private Geschichte der eigenen Nation beziehen. Poeten, Pazifisten, Kriegsdienstverweigerer, Flower-power-Newcomer und ähnliche Friedensfetischisten sind nun mal zart besaitet und nicht in der Lage zu begreifen, daß es einen Krieg ohne Kriegsverbrecher genausowenig gibt wie ein Gewitter ohne Blitze und daß die Militärs, gleichgültig unter welcher Fahne, nicht ins Ehrenfeld ziehen, um etwa über die selbstzerstörerischen Unzulänglichkeiten der menschlichen Natur zu philosophieren, sondern um diese am effektivsten und fraglos in die Praxis umzusetzen. In diesem Sinne: „Adieu, mein kleiner Gardeoffizier, steh gerade, kerzengerade, lache in den Sonnentag, was immer auch geschehen mag! Für Trübsal sind andere da!“ Omar Saavedra Santis