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Der Doktor ist ein General Von Andrea Böhm

Es verwundert Außenstehende, daß der oberste Doktor in diesem Lande ein General ist – oder manchmal auch eine Generalin. „Surgeon General“ heißt in den USA der oder die Leiter/in der staatlichen Gesundheitsbehörde und trägt dementsprechend keinen weißen Kittel, sondern eine Uniform.

Es ist nicht gerade der mächtigste Posten, der in diesem Land zu vergeben ist. Herr oder Frau Dr. General sind zuständig für die warnenden Worte auf allen Zigarettenschachteln und Flaschen mit alkoholischen Getränken. Ihnen unterstehen die öffentlichen Gesundheitsämter. Sie zeichnen verantwortlich für aufklärerische Feldzüge im ganzen Land – egal ob es um mangelnde Leibesertüchtigung, um Drogenkonsum, Aids oder Sexualerziehung geht.

Die beiden letztgenannten Themen lassen schon ahnen, daß sich Herr oder Frau Dr. General ganz schnell und fürchterlich in ein Waterloo voller Nesseln setzen können. Genau dieses widerfuhr der letzten Amtsinhaberin Jocelyn Elders, einer renommierten Kinderärztin aus Bill Clintons Heimatstaat Arkansas. Denn Generalin Elders ist nicht nur eine hervorragende Medizinerin, sondern hatte auch keinerlei Hemmungen, das verhängnisvolle Wort „Kondom“ auszusprechen. Bill, der Präsident und langjährige Freund, fand das erst ganz toll, doch je lauter die bibelfeste Opposition den Sitten- und Moralkodex der Frau Dr. General in Zweifel zog, desto heftiger geriet Bill ins Schwanken und Schwabbeln. Bis er Generalin Elders schließlich vor ein paar Wochen wieder zur Zivilistin degradierte. Jetzt steht der Nachfolger in den Startlöchern – und Bill schwankt und schwabbelt schon, bevor der seine Uniform übergezogen hat. Dr. General in spe Henry W. Foster ist Frauenarzt aus Tennessee und soll nun Bill Clintons nationale Kampagne gegen Schwangerschaften unter Teenagern organisieren. Auf diesem Feld hat sich Foster in Tennessee schon durch ein Programm profiliert, in dem Teenagern Kurse in Gesundheitsvorsorge, Jobtraining und Familienpflege angeboten werden. Die Betonung liegt auf sexueller Enthaltsamkeit und „Familienwerten“, das Thema Abtreibung ist tabu. Immerhin: Kondome werden nach Auskunft der New York Times all jenen angeboten, „die sie brauchen könnten“. Abgesehen vom Lapsus mit den Gummis schien der ideale Kandidat gefunden, um im Chor der Moralapostel mitzusingen. Doch da brach neues Unheil herein. Der Gynäkologe mußte gestehen, in seiner 30jährigen medizinischen Laufbahn auch Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt zu haben. „Aber bestimmt weniger als ein Dutzend“, beteuerte er reumütig. Und meist nur, wenn das Leben der Mutter in Gefahr war oder die Frau durch eine Vergewaltigung schwanger geworden war.

Welch ein Ritter vor dem Herrn. Da haben Frauen und Männer über Jahrzehnte für das Abtreibungsrecht gekämpft – und nun marschiert der potentielle Leiter der US-Gesundheitsbehörde daher und entschuldigt sich quasi dafür, Frauen einen legalen und medizinisch sicheren Schwangerschaftsabbruch ermöglicht zu haben. Das Weiße Haus, so hört man, erwägt derzeit, Fosters Nominierung wieder zurückzuziehen. Als Alternative soll Papst Johannes Paul II. im Gespräch sein.

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