: Höhnisch und garantiert unausgewogen
■ Bei Marko Martin verläuft der Verständnisgraben quer zur Ost-West-Linie
„Im Unterschied zu manchem ebenfalls im Osten aufgewachsenen Altersgenossen habe ich mit dem Westen keine Probleme. Ich mag ihn einfach“, beginnt der Publizist Marko Martin einen Beitrag für den „Deutschlandfunk“. Liest man die Reiseberichte, Essays und Gedichte, die Martin in dem Band „Mit dem Taxi nach Karthago“ zusammengefaßt hat, besteht kein Zweifel, daß dieses Bekenntnis ernst gemeint ist. Aber eigentlich muß man nur im Osten gelebt haben, um dem Autor sofort recht zu geben. Nicht die Anbiederung an neue Verhältnisse, kein fliegender Wechsel von FDJ zur Jungen Union, bestimmt die Perspektive des 1970 in Sachsen Geborenen, sondern die Kindheit und Jugend als sozialer Kretin in der DDR, Nicht-FDJler und Kriegsdienstverweigerer. Als weniger aufgeweckte Mitschüler die Studienzusage der Universität bereits in der Tasche hatten, machte sich der Ausreisekandidat Marko Martin mit einer Gartenschere an Straßenbäumen zu schaffen und schaute sehnsüchtig den glitzernden West-Autos hinterher, die sich in das sächsische Nest verirrt hatten.
Damals ging Martin allen sozialistischen Bildungsbemühungen verloren, auch jenen, die das Ende der DDR überlebt haben. Niemand wird ihm mehr beibringen können, warum das KaDeWe nur der verlockende Schein sei, hinter dem das menschenverachtende Wesen des Systems stecke. Solch scharfsinnige Einsichten hat Martin zuhauf in der DDR-Schule gelernt und muß sie sich jetzt auch von seinen Altersgenossen im Westen anhören, wohin er noch vor dem Fall der Mauer ausreisen konnte: „Bravo“, schreibt Martin, „zu einer Gesellschaft, die ihre eigenen Kritiker quasi gratis mitliefert, die nicht zu Übereinstimmung, Wir-Gefühlen und anderen Horden-Manieren verpflichtet.“ Wer hier vermutet, kritikwürdige Zustände der Gegenwart würden auf dem Hintergrund der noch viel schlimmeren Vergangenheit weichgezeichnet, versteht nicht, worum es geht. Martin kann seine, wie er selbst schreibt, „selbstverständlich eitlen, geschwätzigen, privatistischen und unzuverlässig subjektiven“ Texte mit den eigenen Erfahrungen abdecken, das macht seine Wut und seinen Spott über die Schönredner und ausgewogenen Vergangenheitsbewältiger in Ost und West so glaubwürdig und treffsicher.
Daß Martin kein Intellektueller sein will, Wert auf sein sonnengebräuntes Äußeres legt und in Klagenfurt lieber in die Discothek anstatt zur Dichterlesung geht, ist keine billige Attitüde. Wer das einstudierte Ritual der Verinnerlichung in der Ostvariante erleben durfte, die sinnenfeindliche Abstraktion von der Lebenswelt, die pure Häßlichkeit überall in diesem ehemaligen Staat, verspürt wenig Lust, die Westvariante der Innerlichkeit nachgereicht zu bekommen. Die Produkte der verklemmten Erziehung im Osten sind inzwischen mediennotorisch geworden: Wenn die Gefühlsmonster von heute „den Neger“ schon nicht aus der fahrenden S-Bahn werfen, soll er ihnen doch wenigstens im Haushalt zu Diensten sein. Im Westen dagegen macht Martin den Typus des „Verständnis-Wessis“ aus, der sich in jede Ost-Biographie einzufühlen vermag und bei der Vorstellung zusammenzuckt, Ähnliches hätte erleben zu müssen. Schuld an allem sind die Umstände, und das reicht aus, denn würde man etwas genauer hinsehen, käme vielleicht noch der eigene Anteil an der Akzeptanz der Zustände in der DDR zutage, das eigene Anbiedern an den realsozialistischen Staat und das Stillhalten im Westen.
Gemeinsam ist diesen Haltungen das vorschnelle, immer schon parate Wissen, nämlich daß „der Neger nicht nach Deutschland gehört“ oder, andersherum, daß „der Feind rechts steht“ und „die Stasi- Spitzel irgendwie auch nur Opfer sind“. Es ist erfrischend zu lesen, wie Martin gegen jede Form des geistigen Sattseins anschreibt und mit seiner in DDR-Zeiten antrainierten scharfen Beobachtungsgabe sowie mit der „schußsicheren Erinnerungsweste“ die querelles allemandes geißelt. Wo immer er sich herumtreibt, an der Côte d'Azur, in Nordafrika oder in Israel – Wahrnehmungsmuster bleibt die biographische Prägung in der DDR. Der erlebte Mief und der trübe Geist jener Jahre dienen als Kontrastmittel, sich das Einmalige eines jeden Erlebnisses vor Augen zu führen. Vor ein paar Jahren noch irgendwo in Sachsen, traktiert von dumpfen Stasi-Beamten, heute bei der Freundin in Paris oder anderswo: „Wer Befreiung in Anführungsstrichen schreibt oder denkt, hat nichts begriffen.“ Noch eines läßt sich sagen über die Beiträge von Marko Martin: Man kann lange suchen im deutschen Blätterwald und wird doch nichts vergleichbar Haßvoll-Höhnisches, garantiert Unausgewogenes und Unterhaltsames finden. Peter Walter
Marko Martin „Mit dem Taxi nach Karthago“. Reiseprosa, Essays und Gedichte. Mit einem Vorwort von Hans Christoph Buch, Wolf Schwartz Verlag, Heidelberg, 1994, 126 Seiten, 19,80 DM
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