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Autobahnrowdy Matthias Wissmann

Der Bundesverkehrsminister brettert durchs Naturschutz- gebiet und überrollt dabei die EU  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann ist wild entschlossen, den letzten unzerstörten Flußlauf Deutschlands unter einer Autobahn zu begraben. Mit einem beispiellos dreisten Coup hat Wissmann den Widerstand der Europäischen Union ausmanövriert und die Streckenführung der geplanten Ostseeautobahn A 20 von Lübeck nach Szczecin mitten durch ein Naturschutzgebiet gelegt. Wenn er damit durchkommt, und danach sieht es aus, sind die europäischen Naturschutzrichtlinien reif für den Papierkorb.

Die Umweltabteilung der EU- Kommission hat die Bundesregierung schon vor Monaten wissen lassen, daß die beabsichtigte Trassenführung für die A 20 gegen die sogenannte „Habitat“-Richtlinie verstößt, die seit Juni 1994 in Kraft ist und alle wild lebenden Tiere und Pflanzen unter Schutz stellt. Die Überquerung des Peenetals östlich der Stadt Jarmen zerstöre ohne Not eines der wertvollsten Naturschutzgebiete in Europa. Die Kommission forderte deshalb eine andere Streckenführung, die lediglich zehn Kilometer länger wäre.

Zuviel für den schnellen Wissmann. Das Cleverle aus Württemberg kürzt lieber den Rechtsweg ab und nutzt dazu schamlos den Personalwechsel in der Europäischen Kommission aus. Als er im November erfuhr, daß Umweltbeamte in Brüssel sich endgültig auf die Ablehnung der Wissmann- Trasse festlegen wollten, ließ er den zuständigen Umweltkommissar Joannis Paleokrassas von allen Seiten mit Warnungen beschießen. Selbst von den Kommissars-Kollegen Jacques Delors (Chef), Manuel Oreja (Verkehr) und Martin Bangemann (deutsch) bekam der Grieche tadelnde Briefe, in denen mehr oder weniger deutlich stand, daß es schwer zu verstehen wäre, wenn sich ein scheidender Kommissar auf seine letzten Amtstage noch so viel Verdruß einhandeln wolle. Wenn es schon sein müßte, könnte sich doch die Nachfolgerin darum kümmern. Paleokrassas, ohnehin kein Löwe und stets nur von seinen gesetzestreuen Mitarbeitern zum Jagen getragen, ließ sich einschüchtern und bekam zwei Wochen vor seinem Brüsseler Abschied einen netten Brief vom Bundesverkehrsminister. Der bedankte sich darin nachdrücklich für die gute Zusammenarbeit und teilte mit, daß man im Bonner Verkehrsministerium vergeblich auf eine EU-Stellungnahme gewartet habe. Nun gehe man davon aus, daß die Europäische Kommission „die Unvermeidbarkeit der Überquerung der Peenemündung anerkennt und die Auswahl der Querungspunkte der Bundesregierung überläßt“. Mit freundlichen Grüßen und so weiter.

Am 24. Januar, dem Tag der Vereidigung der neuen Umweltkommissarin Ritt Bjerregaard, erfuhren die Kommissionsbeamten zufällig aus einer mecklenburgischen Lokalzeitung, daß Wissmann im Einvernehmen mit der deutschen Umweltministerin Angela Merkel die Trassenführung durch das Naturschutzgebiet endgültig beschlossen hat.

Noch kann die Kommission ein Verfahren gegen die A 20 einleiten. Aber die Chancen auf einen Erfolg werden von Woche zu Woche schlechter, weil dauernd irgendwelche Einspruchsfristen ablaufen.

Umweltkiller Wissmann baut offensichtlich darauf, daß die neue Kommissarin nicht den Mut haben wird, als eine ihrer ersten Amtshandlungen einen Rechtsstreit mit der Regierung des größten Mitgliedslandes anzufangen.

In der Kommission würde darauf zwar kaum jemand eine Wette annehmen – die Frau sei umweltbewußt und streitfreudig, heißt es. Aber im Augenblick sei sie damit beschäftigt, sich überhaupt erst einzuarbeiten. Ritt Bjerregaard hatte bekanntlich einen sehr schlechten Start. Bei einer Anhörung vor dem Europaparlament zeigte sie sich völlig unvorbereitet auf ihren neuen Job und trat auch noch so arrogant auf, daß die Abgeordneten öffentlich darüber nachdachten, wegen ihr die ganze Kommission abzulehnen. Die Verbündeten inner- und außerhalb der europäischen Verwaltung muß sie sich jetzt hart erarbeiten.

Mitarbeiter der Umweltdirektion sehen mit dem Peenetal auch die Glaubwürdigkeit der europäischen Naturschutzrichtlinie in Gefahr. Die Richtlinie erlaubt Eingriffe in wertvolle Naturschutzgebiete nur dann, wenn die Baumaßnahmen wirtschaftlich notwendig und ohne Alternative sind. Vorausgesetzt, daß sich Wissmann und seine Freunde an die Richtgeschwindigkeit halten, würden sie durch die Umweltzerstörung weniger als fünf Minuten Fahrzeit gewinnen.

Wenn das als Begründung ausreicht, so ein Kommissionsbeamter, „dann sind Naturschutzrichtlinien in Zukunft sinnlos“.

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