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Ganz andere Potentiale

Türkisches Theater in Berlin muß kein „Gastarbeitertheater“ sein. Eine kleine Bilanz  ■ von Deniz Göktürk

Wer geht schon ins türkische Theater? Die türkischen Gruppen in Berlin hatten bisher kaum etwas Spektakuläres zu bieten. Erst jetzt scheint etwas Bewegung in die Szene zu kommen. Vergangenen Freitag standen sogar zwei Stücke zur Auswahl: die Premiere von „Uçtu Uçtu Gelin Uçtu – Eine Braut flog über Kreuzberg“ im Tiyatrom und die Wiederaufnahme von „Borcumuz yok – Bezahlt wird nicht“, gespielt von der Gruppe Diyalog im Ballhaus Naunynstraße. Beide Stücke handeln vom Leben im Kiez, unterscheiden sich jedoch grundlegend in Perspektive und Spielweise.

Bei dem „Lustspiel“ über die aus der Türkei eingeflogenen Braut, die dem Bräutigam und seiner patriarchalischen Familie zu schnell selbständig wird und am Ende ausfliegt, kam wenig Lust auf. Die Schuld daran traf nicht die durchaus einsatzfreudigen SchauspielerInnen, sondern vielmehr die einfallslose Regie und statische Inszenierung. Der Autor Aydin Engin, der zugleich für die Regie zeichnet, verfügt offenbar nicht über genügend Bundesrepublikerfahrung. Bei den meisten Dialogen und Gesangseinlagen standen die Schauspieler hölzern wie bei einer Schulaufführung auf der Bühne. Auf jeder gewöhnlichen Hochzeit in Kreuzberg wird besser getanzt, und der Versuch, das Publikum in den Reigen einzubeziehen, geriet vollends zur Peinlichkeit.

Dabei ist Tiyatrom privilegiert unter den Berliner Theatergruppen. Die Finanzierung durch den Senat in Höhe von einer halben Million Mark jährlich und die eigene Spielstätte sind gesichert. Doch der Anspruch, den Durchschnitt der türkischen Bevölkerung Berlins zu erreichen, erweist sich als kontraproduktiv. Was als Populismus und Konzession an den vermeintlich primitiven Publikumsgeschmack daherkommt, ist nichts anderes als künstlerisches Unvermögen und Niveaulosigkeit.

Das Türkische Kulturensemble Diyalog ist ebenso alt wie Tiyatrom, verfügt aber mit rund 20.000 Mark im Jahr über ein sehr viel geringeres Budget. Zur Feier ihres zehnjährigen Bestehens hat die engagierte junge Truppe ein umfangreiches Theaterfest mit Gastspielen und eigenen Stücken ausgerichtet und damit eine Diskussion über den Sinn und Zweck von türkischem Theater in Berlin angezettelt. Die Geister entzweien sich vor allem an den Fragen, welches Publikum man erreichen will und in welcher Sprache gespielt werden soll. Die Sozialdemokraten aus dem türkischen Kulturverein Odak, Dachverband von Tiyatrom und verschiedenen anderen sozialen Einrichtungen, insistieren auf türkischsprachigen Aufführungen. Das türkische Theater sei nicht dazu da, den Deutschen zu gefallen oder mit den Avantgardetheatern der Stadt zu konkurrieren, sondern um die türkische Sprache und Kultur zu pflegen und die türkische Bevölkerung Berlins anzusprechen. Käme diese begeistert ins Theater geströmt, dann könnte man sich mit dieser Position abfinden. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Durch Beharren auf verstaubten Modellen von „Gastarbeitertheater“ unterhält man weder die erwünschte Zielgruppe, noch gelingt der Ausbruch aus dem Ghetto. Die Zeiten, als Peter Stein eine türkische Theatergruppe an der Schaubühne gründete, liegen weit zurück.

Das Theaterfest von Diyalog, das seit Mitte Januar andauert, setzt in diesem Zusammenhang neue Akzente. Zur Eröffnung spielte Genco Erkal aus Istanbul im ausverkauften Ballhaus mit großer Ausdruckskraft und ohne jedes falsche Pathos Szenen aus dem Leben und Werk Nazim Hikmets. Dieser vorbildliche Auftakt machte deutlich, daß im gegenwärtigen Theater der Türkei ganz andere Potentiale stecken, als man hier in Berlin gewöhnlich zu sehen bekommt. Die Kooperation mit Theaterleuten aus der Türkei, wie sie beispielsweise auch Roberto Ciulli vom Theater an der Ruhr erfolgreich praktiziert, bringt neue Impulse und zeigt, daß man mit türkischen Darstellern ernstzunehmendes Theater machen kann und sich nicht von vorneherein auf drittklassige Klamotten beschränken muß.

So ist auch bei Diyalog die Zusammenarbeit mit dem türkischen Regisseur Yilmaz Onay fruchtbar gewesen. Im Rahmen des Theaterfestes realisierte er mit jungen Schauspielern eine Workshop- Inszenierung zum Thema Gewalt, eine sehr lebendige Szenencollage, die neben alltäglichen Absurditäten aus der U-Bahn auch Vorträge in entzückendem Schwyzerdütsch umfaßt und zum Schluß die Akteure zu einer wilden Volkstanzpersiflage vereint. Onay führt auch Regie bei der Inszenierung des Stückes „Borcumuz yok – Bezahlt wird nicht“ von Dario Fo in der Neubearbeitung von Ilayati Boyacioglu. Ein der Commedia dell'arte entlehnter Harlekin führt uns über die Berge dieser Welt nach Kreuzberg. Da rollen zwei gewitzte Kreuzbergerinnen nach der Plünderung eines Supermarktes auf einem Einkaufswagen herein und suchen ein Versteck für ihre Beute. Es kommt zu Scheinschwangerschaften und vielerlei grotesken Begegnungen. Ein hungriger Ehemann will sich eben an Whiskas und Vogelhirse stärken, als ein Ossi-Polizist zur Hausdurchsuchung kommt und wider Erwarten ein Plädoyer für die Enteignung der herrschenden Klasse und die Wiedererrichtung der Mauer hält. Die sechs Schauspieler spielen die verrückte Komödie mit großem Einsatz und wechseln virtuos zwischen Türkisch oder Deutsch, nur hier und da könnte ein besseres Sprechtraining vielleicht von Nutzen sein.

Diyalog huldigt keinerlei Purismus, die Aneignung von fremden Stücken mit eigenen Ausdrucksformen gehört zum Programm. In „Der Indianer will zur Bronx – Bronx Nerede“ ist die Zwiespältigkeit noch schlüssiger motiviert: Der Türke an einer New Yorker Bushaltestelle, der seinen Sohn sucht, kann sich den beiden Jugendlichen nicht verständlich machen und versteht ihre Sprache nicht. Die gescheiterte Kommunikation und steigende Aggression kommen im unvermittelten Zusammenprall der Sprachen überzeugend zum Ausdruck.

Solche Aufführungen zeigen, daß ein mehrgleisiges Modell mit deutschen oder mehrsprachigen neben rein türkischsprachigen Inszenierungen zukunftweisend und für ein breiteres Publikum attraktiv sein könnte. Auch von den Gastspielen im Rahmen des Theaterfests hoben sich die Produktionen von Diyalog produktiv ab. So war beispielsweise überhaupt nicht nachzuvollziehen, warum das Stück „Dreck“ von Robert Schneider derzeit solche Konjunktur hat. Der Monolog des Rosenverkäufers strotzt vor Klischees und präsentiert den Ausländer genauso, wie man ihn haben will – als minderwertiges Opfer. Bei Diyalog dagegen spürt man zumindest, daß Theater in erster Linie aus Spielfreude entsteht und nicht dem erhobenen sozialdemokratischen zeigefinger folgt.

Weitere Vorstellungen: „Borcumuz yok – Bezahlt wird nicht“ am 9., 10., 11. und 12.2. im Ballhaus Naunynstraße. „Uçtu Uçtu Gelin Uçtu – Eine Braut flog über Kreuzberg“ am 10., 11., 12., 24. und 25.2. im Tiyatrom.

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