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„Die wollen uns alle umbringen“

Nach dem Bombenanschlag, der vier Menschen das Leben kostete, fürchten die Roma von Oberwart weitere Angriffe von Rechtsradikalen  ■ Aus Oberwart Michaela Schießl

Schüchtern nähert sich ein blauer Opel der Roma- Siedlung, ganz langsam und zaudernd, als hätten die Insassen Angst, die Trauernden zu stören. Doch die Roma von Oberwart verschanzen sich nicht. Zumindest nicht, solange es Tag ist. In kleinen Gruppen stehen sie vor ihren Häusern auf der Straße und reden. Miteinander, mit den Journalisten, mit allen, die kommen, um ihnen Mut zuzusprechen. Und immer wieder laufen sie den Feldweg entlang, vorbei am schwarzumflorten Ortsschild, bis hin zu der Stelle, wo in der Nacht zum Sonntag vier der Ihren in eine Bombenfalle tappten. Peter Sarközi (27), Erwin Horvath (18), Karl Horvath (22) und Josef Simon (40) wurden zerfetzt, als sie versuchten, ein mit Sprengstoff präpariertes Schild mit der Aufschrift: „Roma zurück nach Indien!“ zu entfernen.

Der blaue Opel hält bei einer Gruppe Männer, der Fahrer dreht die Scheibe runter. Auf dem Beifahrersitz stapeln sich Süßigkeiten. „Grüß euch Gott, ich such die Frau Simon, ich wollt was bringen, für die Kinder.“ Fünf Kinder hat Frau Simon, seit Sonntag haben sie keinen Vater mehr. „Die beiden Älteren verdrängen, die benehmen sich, als wäre nichts passiert“, sagt sie. „Doch die Vierjährige fragt dauernd, wann der Papi denn vom Himmel zurückkommt. Und ich selber warte auch, jeden Abend.“

Alfred Horvath, von allen nur Freddy genannt, hat die Besucher zu den Simons geführt. Freddy hört schlecht, kann kaum sprechen und ist in der Roma-Siedlung Mädchen für alles. Freddy war es, der am Sonntag morgen die Leichen fand. Zwei davon, Erwin und Karl, waren seine Cousins – und die Enkel des ältesten Mannes der Siedlung, Michael „Mischka“ Horvath.

73 Jahre alt ist der kleine Mann mit dem offenen Gesicht und der tiefsitzenden Pelzkappe. 1922 wurde er in Oberwart geboren. Ein kleines Haus hatte er sich gebaut, bis es dem Krankenhaus weichen mußte. Die Stadt hat ihm ein Ersatzhäuschen hingestellt, in die neue Roma-Siedlung, noch ein wenig weiter außerhalb des Ortes. „Das war zugig wie ein Stall!“ schimpft der Alte. Und deutet stolz auf die neuen Thermofenster, auf den Dachanbau, die Terrasse, den Holzfußboden. „Das haben wir alles selbst gemacht.“

Mischka Horvath, der Roma- Älteste, ist Oberwarter. Er wurde 1922 in dem damals noch sehr kleinen Ort im österreichischen Burgenland geboren und lebt bis heute hier. Nur einmal war er weg, sechs Jahre lang. Die verbrachte er in Konzentrationslagern – Dachau, Buchenwald, Gusen bei Linz. „Ich mußte einen schwarzen Winkel tragen, das hieß: Arbeitsscheuer. Dabei mußten wir arbeiten, Tag und Nacht. Im KZ gibt's kein Schlechtwetter, kein Stempelngehen, und einen Sonntag gibt's auch nicht. Nicht mehr arbeiten können, das hieß: Krematorium.“

Der Alte lächelt und zieht an seiner Pfeife. „Ich kann mich noch gut an den Lagerleiter in Gusen erinnern, der hat einmal aus purer Wut den ganzen Block 42 hinrichten lassen.“

Kiereis hieß der Mann, oder so ähnlich. Mischka Horvath kann weder lesen noch schreiben. Aber Namen merken kann er sich, viele haben sich ihm ins Gedächtnis graviert. „Kennen Sie den Gangel und den Keipel? In der Wiener Straße wohnen die, die leben noch, und das waren doch SS-Leute! Erklären Sie mir, warum die nicht bestraft werden! Und uns tut man so was an.“ Einmal hat Horvath den Gangel in der Dorfkneipe getroffen. „Da hab' ich's ihm gesagt, vor allen Leuten, Gangel, hab' ich gesagt, du hast Glück, daß du mich damals nicht geschlagen hast, sonst wärst du heute tot.“ Am 5. Mai 1945 wurden die Häftlinge des KZ Gusen von den Amerikanern befreit. Horvath kehrte zurück nach Oberwart. Von der 350köpfigen Roma-Gemeinde waren nur 15 übriggeblieben. Eine davon war seine Frau, sie hatte das KZ Ravensbrück überlebt.

„Als wir wieder daheim waren, dachten wir, jetzt wird alles besser. Wir waren stolz darauf, wieder zurück zu sein, stolz darauf, uns wieder zu vermehren, stolz, daß sie uns nicht ausrotten konnten.“ Zehn Kinder bekam Mischka Horvath mit seiner Frau. Drei sind gestorben, sieben leben bei ihm in Oberwart. Zwei Urenkel hat er, und bis Sonntag hatte er elf Enkel. Zwei davon sind nun tot. Der 18jährige Erwin und der 20jährige Karl sind Opfer des Mordanschlags. „Es ist unvorstellbar“, sagt der alte Mann, „wer hätte das gedacht? Ich überlebte die Naziherrschaft, und dann werden, 50 Jahre später, meine Enkel von Nazis umgebracht. Ich weiß nicht, was wir machen können. Die kommen wieder, die Nazis. Wie wehrt man sich gegen Bomben?“

Natürlich, auch in der Roma- Siedlung wußte man von den Umtrieben im Burgenland, selbstverständlich spürte man den Rechtsruck, die zunehmende Agressivität. Die Roma wußten von der Schändung des Jüdischen Friedhofes in Eisenstadt und daß sie sich im Nachbarort Pinkafeld besser nicht blicken lassen, denn dort treiben seit geraumer Zeit schlagende Verbindungen in der „Höheren Technischen Lehranstalt“ ihr rechtsradikales Unwesen. Bekannt ist, daß im nahen Ort Oberschützen – am Denkmal für ein Reich, ein Volk, einen Führer – ein Nazi-Kommers stattfand. Und sicherlich kennen die Roma Eduard Nicker, den Landtagsabgeordneten der rechten F-Partei (Ex- FPÖ), evangelischer Laienprediger und folgsamer Sohn des Vaters. Der war Kreisleiter unter den Nazis und hieß in Wahrheit Nitschka, aber das klang nicht deutsch genug.

Sie kennen auch Tobias Portschy aus dem nahen Rechnitz, ebenfalls ein F-Mann. 1938 wurde er von Hitler als Gauleiter und Landeshauptmann eingesetzt. Schon vorher schrieb er in einer „Denkschrift“: „Willst du, Deutscher, Totengräber des nordischen Blutes im Burgenland werden, so übersehe nur die Gefahr, die ihm die Zigeuner sind.“ Bei Amtsübernahme ließ er in Lackenbach ein „Zigeuner-KZ“ errichten und sonderte Überlegungen zur „Endlösung der Zigeunerfrage“ ab.

„Sicher, da hat sich langsam was zusammengebraut“, sagt Mischka Horvath. „Aber bislang gab es doch keine Feindseligkeiten, wer konnte mit so was rechnen.“ Besonders schlimm, daß die Anschläge von Oberwart und Stinatz – dort riß einen Tag später eine Rohrbombe einem kroatischen Müllarbeiter eine Hand weg – nicht gegen bestimmte Personen, sondern ganz pauschal gegen Volksgruppen gerichtet sind. „Die wollen uns alle umbringen.“

Nur die österreichischen Ermittler wollen trotz der eindringlichen Warnung des Rechtsradikalen-Experten Wolfgang Neugebauer nichts von einem „die“ wissen. Schon macht die Geschichte von einem „irren, technisch versierten Einzeltäter, der sich profilieren will“ die Runde. Die Analyse der Bomben ergab, daß die Bauweise identisch ist mit der Bombe, die vergangenes Jahr in einem zweisprachigen Kindergarten in Klagenfurt gefunden wurde, und einem Polizisten beim Entschärfen beide Arme abriß. Damals wie heute in Stinatz bekannte sich eine „Bajuwarische Befreiungsarmee“ zu der Tat, im gleichen Stil und Duktus, und beide Male mit historischen Anspielungen versehen. Nach Klagenfurt konnte ein Phantombild des Verdächtigen erstellt werden, daß nun wieder durch die Zeitungen geistert. Motto: Das ist der irre Täter.

In der Roma-Siedlung ist man fassungslos über solche Einfalt: „Die können uns doch nicht erzählen, daß das ein einzelner war, die müssen doch die Zusammenhänge sehen“, klagen die Roma. „Wir fühlen uns bedroht, von mehr als einem. Das ist die Macht der Täter, daß wir nun Angst haben.“

Seit Sonntag darf kein Kind mehr ohne Aufsicht nach draußen, die Hunde müssen im Garten wachen, und die Männer haben an allen Häusern 500-Watt-Lampen mit Bewegungsmelder installiert. „Hier kommt keiner mehr unbemerkt vorbei“, ist Mischka Horvath sicher und spaziert durch die Siedlung, die daraufhin taghell erstrahlt. Trotzdem: Kinder dürfen abends überhaupt nicht mehr raus, und auch die Erwachsenen gehen nur in Gruppen. Mehr Polizeipräsenz, wie es der Innenminister für Minderheitengruppen angeordnet hat, lehnen die Oberwarter Roma ab. „Die Polizei ist grundsätzlich gegen uns. Die halten nichts von uns. Das erste, was die nach dem Mord taten, war, 45 Polizisten zur Razzia in unsere Häuser zu schicken. Nein, die brauchen sich nicht mehr blicken zu lassen, da kaufen wir uns lieber scharfe Hunde.“

Alle anderen sind gern gesehen im Dorf. Wenn es zu kalt wird, lädt Mischka ein zum Kaffee. Zwölf Personen wohnen in seinem Haus, acht davon sind gerade in der Küche. Der Fernseher läuft, keiner will die Nachrichten verpassen. „3.000 Menschen bei der Protestkundgebung am Wiener Stephansplatz“, meldet der Sprecher. Die Horvaths freuen sich. „Vielleicht bewegt sich ja etwas in den Leuten“, hofft die Schwiegertochter. Der alte Mann nickt. Gestern noch hat er gesagt, er wolle nicht mehr leben, er könne den Tod seiner Enkel nicht verschmerzen, er habe keine Freude mehr. Heute hat er wieder Mut gefaßt.

„Viele Leute sind irritiert, warum wir mit der Presse sprechen, warum wir nicht laut weinen und uns zurückziehen“, sagt Horvath. „Aber das Spektakel, das hier veranstaltet wird, lenkt uns ab, läßt uns nicht zum Nachdenken kommen. Das ist erst mal gut so. Hinzu kommt: Ein ungeliebtes Volk wie die Roma hat über die Jahrhunderte gelernt, mit Toten umzugehen.“

Nie werden die Roma von Oberwart das mörderische Attentat vergessen. Aber weiterleben müssen sie hier, und sie wollen es auch. „Wo sollen wir denn hin?“ fragt eine Frau. „Wir sind doch alle Oberwarter.“ Und so werden sie am Mittwoch, wie jeden Mittwoch im Jahr, zum Markt gehen. Sie werden heimgehen und kochen, und wenn Leute vorbeikommen, neugierige Journalisten oder Freunde aus dem Ort, werden sie sie einladen. „Ich will“, sagt der alte Horvath, „daß sie nach Hause fahren und allen Leuten sagen: Ich war bei den Zigeunern, und sie waren freundlich.“

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