■ Hat Manfred L. Martina Madlowski getötet? In einem Berliner Prozeß entscheiden drei Tropfen Blut und ein "genetischer Fingerabdruck". Das eine Gutachten sagt mit "99,49 Prozent Wahrscheinlichkeit":..: Wie sicher ist die DNA-Analyse?
Hat Manfred L. Martina Madlowski getötet? In einem Berliner Prozeß entscheiden drei Tropfen Blut und ein „genetischer Fingerabdruck“. Das eine Gutachten sagt mit „99,49 Prozent Wahrscheinlichkeit“: „Er hat.“ Das andere sagt: „Auf keinen Fall.“
Wie sicher ist die DNA-Analyse?
Die Leiche lag im Wald. Kein schöner Anblick für den Pilzsammler, der sie im August 1993 in der Gemarkung Tietzow im Landkreis Nauen fand. Das Verbrechen lag Wochen zurück, der Körper von Martina Madlowski befand sich bereits in fortgeschrittenem Verwesungszustand. Die genaue Todesursache, hielten die Ermittler anschließend in ihren Akten fest, habe deshalb nicht ermittelt werden können. Sicher war nur: Der Tod war gewaltsam erfolgt.
15 Monate später kommt es dennoch zum Prozeß. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, den Täter zur Rechenschaft ziehen zu können. Seit dem 1. November letzten Jahres muß sich Manfred L. vor der 32. Strafkammer des Kriminalgerichts in Berlin-Moabit verantworten. Manfred L. soll Martina Madlowski „vorsätzlich auf nicht geklärte Weise getötet“ haben: Totschlag. Drei kleine Spritzer Blut, in der Wohnung des Beschuldigten in Berlin-Schöneberg sichergestellt, werden jetzt über Schuld oder Unschuld, über Knast oder Freiheit für Manfred L. entscheiden.
Die Rekonstruktion der Ankläger scheint schlüssig: Manfred L. lernt Martina Madlowski am 5. Juli 1993 im Berliner Tanzlokal „Palais Madame“ kennen. Spät wird es. Um vier Uhr morgens wechseln beide dann in den schräg gegenüber liegenden „Nürnberger Trichter“. Der lange Abend, glauben die Ermittler, endet schließlich in der Wohnung des Angeklagten. Von da an fehlt von Madlowski jede Spur – bis ihre Leiche Wochen später entdeckt wird.
Manfred L. war nach Ansicht der Ermittler die letzte Person, die mit der später Getöteten zusammen gesehen wurde. Der Verdacht, er könne auch für den Tod der 33jährigen verantwortlich sein, erhärtet sich, als Kriminalbeamte in der Wohnung des 44 Jahre alten Vertreters drei kleine Blutspuren sicherstellen. Bei diesen, urteilte die Berliner Polizeitechnische Untersuchungsanstalt, handele es sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um das Blut der Toten. Die Wahrscheinlichkeit: 99,49 Prozent. Der Beschuldigte dagegen bestreitet, Madlowski mit in seine Wohnung genommen zu haben.
17 Monate saß Manfred L. in Untersuchungshaft, wegen dringenden Tatverdachts. Verdacht und Anklage stützen sich auf eine Methode, die die Strafverfolger seit wenigen Jahren zur Anwendung bringen: den „genetischen Fingerabdruck“, einen Nachweis eindeutiger Erbinformationen in Blut- oder Körperzellen, der selbst bei kleinsten Spuren geführt werden kann. Sanktioniert wurde der genetische Fingerprint, auch DNA- Analyse genannt, im September 1992 durch den Bundesgerichtshof. Die Karlsruher Richter billigten ihm als Nachweismittel eine hohe „statistische Belastungswahrscheinlichkeit“ zu. Gleichwohl bestand der Gerichtshof darauf, daß die Gerichte einen Schuldnachweis nicht ausschließlich auf das Beweismittel DNA- Analyse stützen dürfen – 99 Prozent sind eben kein hundertprozentiger Nachweis.
Und wie steht es mit der 99prozentigen Wahrscheinlichkeit? Nach einer sensationellen Wende im Prozeß gegen Manfred L. mußte der dringende Tatverdacht fallengelassen werden. Zum heutigen 13. Verhandlungstag im Berliner Kriminalgericht wird er als freier Mann kommen. Auf Antrag der Verteidigung hatte das Gericht eine Kontrolluntersuchung der winzigen Blutspritzer angeordnet. Und deren Ergebnis liegt diametral entgegengesetzt zu dem der Erstuntersuchung. Die Kontrolleure vom Rechtsmedizinischen Institut der Freien Universität nutzten eine ähnliche gentechnische Untersuchungsmethode. Sie zogen allerdings den Schluß: Die untersuchten DNA-Muster stammen auf keinen Fall von Madlowski. Damit sitzt nun der genetische Fingerabdruck auf der Anklagebank.
Immer häufiger greifen die Ermittler auf diese Methode zurück, wenn am Tatort Spuren von Speichel, Sperma oder Blut gefunden werden. Bis „300.000mal mehr Beweiskraft“ als die bisher üblichen Blut- und Gewebeuntersuchungen habe die DNA-Analyse, schwärmte etwa der Züricher Gerichtsmediziner Walter Bär im letzten Herbst. Regelrechte Wunder versprachen sich die Experten von der neuen Technik.
Für den 33jährigen US-Amerikaner Kirk Bloodsworth stellte sich ein solches Wunder im Sommer 93 ein. Wegen Vergewaltigung und anschließender Ermordung eines neunjährigen Mädchens hatte Bloodsworth fast neun Jahre in Haft verbracht. Ein winziger Spermafleck in der Unterwäsche des Opfers verhalf dem Verurteilten dann zur Freiheit: Das DNA-Profil des Spermas ließ sich mit den Genmerkmalen von Bloodsworth nicht vereinbaren.
Für Rainer Gutschmidt, einen Vorabeiter in Berlin, wurde der Gentest dagegen zum Alptraum. Sechs Monate wanderte der Mann in Untersuchungshaft, weil die Ermittler ihn für dringend verdächtig hielten, die 47jährige Berlinerin Gisela Braun in ihrer Wohnung vergewaltigt und erstochen zu haben. Die Fahnder stützten sich auf eine genetische Analyse des im Körper der Toten gefundenen Spermas. Nach Auskunft der Experten konnte dieses nur von Gutschmidt stammen. Das bei Gutschmidt ausgemachte DNA-Profil, urteilte das Institut für Gerichtliche Medizin an der Berliner Humboldt-Universität, komme unter 18 Millionen Menschen nur einmal vor. Eine Verwechslung sei somit ausgeschlossen, das Sperma stamme „zweifelsfrei“ vom Beschuldigten. Gutschmidt wurde Opfer einer Laborpanne, wie ein Zweitgutachten später an den Tag brachte. Beim Einfüllen der Proben in ein Sortiergerät hatten die Laboranten offenbar winzige Mengen von Gutschmidts Blut mit Zellen aus der Spermaspur vermischt – und plötzlich deckten sich die DNA-Analysen.
„Wirklich irritierend“ findet auch Herman Schmitter, Leiter des Fachbereichs Serologie beim Bundeskriminalamt, den Widerspruch zwischen den Gutachten im Berliner Prozeß gegen Manfred L. Das Gericht müsse wohl prüfen, meint der Wiesbadener Experte, ob die Kollegen ud Kolleginnen da nicht „Äpfel mit Birnen verglichen“ hätten. Er habe „vielfach den Eindruck, daß Gerichte meinen, mit DNA-Analyse ist der Beweis da“, warnt er vor der Überbewertung des genetischen Fingerabdrucks. Als Indiz sei der Test durchaus tauglich. Die Gerichte müßten aber nachweisen können, „daß die Spur auch vom Täter während der Tatbegehung gelegt wurde“.
Als potentielle Fehlerquelle hat Peter Schneider vom Rechtsmedizinischen Institut der Mainzer Gutenberg-Universität weiterhin die „kriminaltechnische Asservierung“ der Tatortspuren ausgemacht. Spuren können vertauscht werden, Laboren können Analysefehler unterlaufen. „Niemand ist unfehlbar.“ Schmitter und Schneider fordern daher, nur „geeignete“ und unabhängige Labors zur DNA-Analyse zuzulassen. Generell sollte auch eine Zweituntersuchung mit dem gleichen Analyseverfahren durch ein weiteres Labor Pflicht werden. Die Moabiter Kriminalrichter müssen jetzt den gentechnischen Expertensalat sortieren. Als Sachverständige geladen wurde die Leiterin der Serologischen Abteilung bei der Polizeitechnischen Untersuchungsanstalt, Ingrid Herrmann. Sie soll dem Gericht erklären, was es von den divergierenden Gutachten halten soll. Wolfgang Gast
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen