Kowaljow predigt tauben Ohren

■ Im EU-Rahmen hat sich Bonn längst auf Nachsicht gegenüber Moskau festgelegt

Genf (taz) – Der heutige Termin von Außenminister Klaus Kinkel mit dem russischen Menschenrechtler Sergej Kowaljow, der gestern zu Gesprächen in Bonn eintraf, droht zur Alibiveranstaltung zu werden. Denn schon jetzt steht fest, daß die Delegationen der EU-Staaten und der USA bei der laufenden Tagung der UNO- Menschenrechtskommission in Genf keine Resolution zur Verurteilung Rußlands einbringen wollen. Sie halten sich zurück, obwohl russische Truppen ihre Artillerie- und Luftangriffe auf Grosny und mehrere andere Städte im Süden Tschetscheniens mit unverminderter Härte weiterführen.

Über einen Resolutionsentwurf zu Tschetschenien müßte in der UNO-Menschenrechtskommission formal abgestimmt werden. Dabei müßten die 53 Mitgliedsstaaten ihre Haltung offenlegen. Doch statt einer Resolution strebt die EU lediglich eine Erklärung des Kommissionsvorsitzenden an, über die vorab Konsens erzielt werden muß. Der Leiter der Bonner Delegation, Gerhart Baum, begründete den Verzicht auf Einbringung einer Resolution durch die EU damit, daß über länderspezifische Resolutionen erst gegen Ende der Kommissionstagung Anfang März abgestimmt werden könne; eine Erklärung sei dagegen bereits nächste Woche möglich.

Die EU hat für die Erklärung einen Entwurf auf Basis der OSZE-Entscheidung zu Tschetschenien vorgelegt. Darin „verurteilt“ die OSZE zwar „die schweren Menschenrechtsverletzungen vor und seit Beginn der aktuellen Krise“, nennt jedoch für diese Menschenrechtsverletzungen keine Verantwortlichen. Dennoch stößt sogar der EU-Entwurf bislang auf den Widerstand der russischen Delegation. Moskau möchte unter allen Umständen vermeiden, daß die Lage in Tschetschenien überhaupt wieder auf die Tagesordnung künftiger Sitzungen der Menschenrechtskommission kommt. Dabei weiß sich Rußland der Unterstützung der USA sicher, deren Genfer Delegation hinter den Kulissen die EU zu noch mehr Zurückhaltung drängt. Daß die russische Delegation bei der Tagung der UNO-Menschenrechtskommission offiziell von Kowaljow geleitet wird, der bis zu seiner Reise nach Bonn in Genf weilte, spielt bei alldem keine Rolle mehr. Bei den Verhandlungsrunden mit der EU schwieg Kowaljow zumeist; das Wort führten andere Delegationsmitglieder, die nach Angaben von EU-Diplomaten „die offizielle russische Politik vertreten“. Wie sicher sich die offizielle russische Politik ist, zeigte sich gestern, als ein Vertreter der Moskauer Botschaft am Genfer UNO-Sitz frischgedruckte Plakate aufhängte, auf denen für den morgigen Freitag zu einer Pressekonferenz mit Kowaljow in Rußlands UNO-Botschaft eingeladen wird.

Von Moskauer Sicherheit zeugt auch die gemeinsame Planung einer neuen OSZE-Mission in Tschetschenien durch die russischen und französischen Regierungen, die das Pariser Außenministerium gestern bekanntgab. Eine Mission des Europarats lehnte dagegen der russische Außenminister Andrej Kosyrew ab: Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hatte letzte Woche das russische Vorgehen in Tschetschenien deutlich schärfer verurteilt als die OSZE und eine Aufnahme Rußlands abgelehnt.

Unter all diesen Vorzeichen kann Kowaljow nicht damit rechnen, in Deutschland viel zu bewegen. Während der russische Menschenrechtler gestern in Bonn eintraf, hieß es aus Regierungskreisen, Bundeskanzler Kohl werde am Nachmittag bei der ARD-Debatte im Bundestag sein und habe zudem interne Termine zu erledigen. Andreas Zumach

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