: Wir machen gute Sachen
■ Interview mit der SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer: Aus dem Senat heraus bis zur Wahl andere Politikkonzepte deutlich machen / Im Dialog gesellschaftlicher Gruppen neuen Gemeinsinn entwickeln
taz: Treten Sie als SPD-Spitzenkandidatin jetzt aus dem Senat zurück, um Ihre Politik deutlicher machen zu können?
Ingrid Stahmer: Das sicher nicht. Es kann nicht darum gehen, mit Regieren aufzuhören und zu sagen, nun machen wir ein halbes Jahr Wahlkampf. Bis zum Ende der Wahlperiode muß die Sacharbeit am Senatstisch weitergehen. Wir hatten dort ja auch bisher nicht Friede, Freude, Eierkuchen, sondern auch Auseinandersetzungen. Wir Sozialdemokraten haben diese Differenzen bloß nicht immer so deutlich gemacht. Im kommenden halben Jahr muß auf jeden Fall klarer werden, was denn dort die sozialdemokratische Seite tut. Es wird auch klarer werden müssen, was wir tun würden, wenn es andere Mehrheiten gäbe.
Wie wollen Sie das machen – aus der Regierung heraus einen anderen Weg zu verdeutlichen?
Es ist nicht einfach. Aber es wäre auch nicht richtig, sich einfach so nach draußen zu stellen und dann mit Dreck zu schmeißen. In der Doppelrolle – dazuzugehören und gleichzeitig zu zeigen, was man besser machen könnte – fühle ich mich durchaus nicht unwohl. Das Polarisieren, indem man Personen für doof oder unfähig erklärt, finde ich nicht so spannend. Das ist etwas, was mir auch nicht so liegt. In Sachauseinandersetzungen zu polarisieren finde ich dagegen in Ordnung.
Fängt jetzt der Wahlkampf an?
Ja. Den Schwung, den die SPD mit der Kandidatenauswahl gewonnen hat und das Interesse an unserer Politik können wir nicht wieder einschlafen lassen. Da muß die ganze Partei mit, um in die Bevölkerung zu tragen, daß wir gute Ideen haben und gute Sachen machen. Unsere Veranstaltungsreihe „Stadt im Dialog“ ist nicht als riesige Bürgersprechstunde gemeint, sondern ein Projekt, das neben vielen Menschen auch gesellschaftliche Gruppen, Verbände, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände miteinander ins Gespräch bringt, um den zur Zeit nicht ausreichend vorhandenen Gemeinsinn zu entwickeln. Beispielsweise den Fahrrad-Verband mit der Automobillobby zusammenzubringen, um gemeinsame Probleme zu lösen, ohne die Konflikte ideologisch aufzubauschen.
Der Kreuzberger SPD-Bürgermeister Peter Strieder hat auf die Fragen nach Ingrid Stahmers Zielen geantwortet: Freiheit, Brüderlichkeit, Schwesterlichkeit, Solidarität. Man könnte meinen, so genau seien Ihre Ziele nicht.
Das sind die Grundziele der SPD. Ganz offensichtlich hat Strieder dazu meine Reden und Aufsätze nicht gelesen. Oder er fand sie nicht gut, so daß er dann diese Grundwerte finden mußte. Ich habe bei den ewigen Nachfragen nach Visionen gesagt, daß ich dieses Wort sehr verbraucht finde.
Wir fragen nach konkreter Politik bis zur Wahl.
Ich möchte diese Zeit mit konkreten Projekten begleiten, also nicht nur Luftblasen absondern. Wir wollen beispielsweise in der Verkehrspolitik Vorschläge machen, wie wir die Probleme der Pendler und des Lastkraftverkehrs in der Stadt lösen können. Ein konkretes Projekt ist zum Beispiel der Vorschlag, den Großrechner der Technischen Universität zu nutzen, um zu bedarfsgerechteren BVG-Fahrplänen und Angeboten zu kommen – also an ganz konkreten Bereichen zeigen, daß unsere Politik bessere Lösungen hervorbringen kann.
Der Senat hat sich einmal auf den Vorrang des öffentlichen Nahverkehrs verständigt. Geschehen ist nichts, und die SPD nimmt das bisher so hin.
Nein, die SPD klagt und schimpft...
...aber wie so oft nur hinter der Tür.
Sicher, das ist eines der Kunststücke. Das kann sich nicht in Erklärungen erschöpfen, sondern das muß in öffentlichen Gesprächen klargemacht werden. Eines der Probleme ist, daß man Sachen machen kann, sie aber nicht vermittelt kriegt, weil die Presse sie nicht für öffentlichkeitswirksam hält.
Sie haben doch genug Öffentlichkeit. Sie müßten als Person sozialdemokratische Politik verdeutlichen.
Richtig. Ich werde jetzt mein vorgeplantes Wahlkampfkonzept mit dem Landesvorstand abstimmen, der eine Programmkommission eingesetzt hat. Meine Vorstellung und deren Arbeitsergebnisse müssen zusammengefügt und in Form gebracht werden, damit es dann auch eine Beteiligung anderer gesellschaftlicher Gruppen geben kann.
Droht der Stadt ein Linksrutsch, wie die CDU meint?
Natürlich. Die SPD ist eine linke Partei, und wir wollen die erste Kraft werden.
Teile der SPD wollen wieder gerne mit den Grünen koalieren.
Das ist ein starkes Gefühl in der SPD, weil man die Große Koalition gräßlich findet. Wir müssen deshalb so stark werden, daß wir uns den Partner aussuchen können. Wichtig ist aber, daß eine Regierung in dieser existentiellen Situation und mit diesem Schuldenberg dauerhaft gefestigt sein muß und nicht von vorneherein auf sehr wackeligen Füßen stehen darf.
Sind die Bündnisgrünen in ihrer jetzigen Verfassung ein koalitionsfähiger Partner?
Das kommt darauf an. Die Bedingungen, die Christian Ströbele vor kurzem in der taz formulierte, machen es schwierig. Da muß man schon mal gucken, ob das geht. Andererseits habe ich mich natürlich über den Fraktionschef Wolfgang Wieland gefreut, der erklärt hat: Mit der Stahmer kann man wenigstens verhandeln.
Sie sagen, die PDS sei gegenwärtig kein ernsthafter Partner. Wieso?
Die PDS hat ein unklares Verhalten zu ihrer Vergangenheit. Im Moment macht sich die PDS in einer Form zum Sprachrohr des Ostens, die sie selbst nicht ausfüllt. In und außerhalb der SPD würden viele Menschen, die in der DDR gelitten haben, eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der PDS nicht verstehen. Auf solche Gefühle muß man Rücksicht nehmen.
Sie wollen, was die mögliche Fortsetzung einer Großen Koalition angeht, den Mitgliedern nicht Sand in die Augen streuen. Ist das also ein erträgliches Modell?
Wenn die Wähler sich ausreichend für die SPD entscheiden und so eine andere Koalition ohne CDU und ohne Mithilfe der PDS ermöglichen, wird man das immer vorziehen. Wir können aber nicht sagen: Wir wollen auf alle Fälle Rot-Grün. Dann gewinnen wir möglicherweise zehn Prozent dazu, und es reicht trotzdem nicht. Dann stehen wir da, sind Gewinner der Wahl und haben doch verloren.
Interview: Severin Weiland
und Gerd Nowakowski
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