Die Fakten waren nur ein Fake

■ „Focus“ räumt ein: Interview mit Taslima Nasrin war ein Fake / Chefredakteur Markwort sieht sich selbst als Betrogenen

Berlin (taz) – In der gestrigen Redaktionskonferenz des Münchner Magazins Focus wird es ein wenig anders zugegangen sein, als in den bekannten TV-Spots, die Chefredakteur Helmut Markwort als wohlwollenden Mahner der journalistischen Sorgfaltspflicht in Szene setzen: „Ich will Fakten, Fakten, Fakten“, bleut der Chef seinen Untergebenen in der Fernsehwerbung ein.

Vergebens, wie sich jüngst wieder anhand eines Interviews mit Taslima Nasrin zeigte: Das von Focus veröffentlichte Gespräch ist eine Fiktion des Journalisten Hans-Joachim Schilde. In der gestrigen Konferenz, so Markwort zur taz, sei mit dem verantwortlichen Ressortleiter, Stephan Sattler, über die von der taz erhobenen Vorwürfe gesprochen worden: „Wir ärgern uns maßlos über diese Geschichte. Sattler hat mehrfach mit Schilde über die Sache gesprochen, und der hat mehrfach die Autorisierung betont.“

Von der taz mit der Aussage der Autorin konfrontiert, ein Interview habe „nicht stattgefunden“, zog Hans-Joachim Schilde sich darauf zurück, daß er „viele Gespräche“ mit Nasrin geführt habe. Warum er seinen fingierten Text nicht wenigstens von Frau Nasrin habe autorisieren lassen, mit der er doch über mehrere Monate in engem Kontakt gestanden habe? Schilde: Dies sei ihm sinnlos erschienen, „weil Frau Nasrin Deutsch nicht versteht“.

Focus-Chef Markwort sieht sich und seine Redaktion nun durch Schilde, einen freien Mitarbeiter, „hereingelegt“. Bleibt die Frage, warum niemandem der penetrante PR-Ton des Gesprächs, in dem für Kinkel und Kohl kräftig die Werbetrommel gerührt wurde, verdächtig vorkam. Dazu Helmut Markwort: „Ich habe mich über einiges gewundert, ja, ich habe mich über einiges gewundert, aber sie hat ja in Schweden den Tucholsky- Preis bekommen, sie kannte ja die handelnden Personen. Es ist ja wirklich eine unübliche Angelegenheit, daß man, selbst wenn man sich wundert über das, was Leute auf Fragen antworten, da macht man ja nicht dran rum.“ Kulturchef Stephan Sattler habe in Absprache mit Schilde lediglich „einige sprachliche Unzulänglichkeiten“ bereinigt.

Es wäre allerdings gar nicht darum gegangen, an dem erfundenen Text noch mehr herumzumachen. Die Focus-Redaktion hätte zur Vorsicht Grund genug gehabt, weil ihr mit dubiosen Interviewtexten schon mehrere journalistische Super-GAUs geglückt sind. Erst kürzlich war Markwort von dem Fernsehjournalisten Roger Willemsen im ZDF vorgeführt worden. Willemsen hatte Markwort die schlimmsten Patzer seines Blattes vorgehalten, darunter ein Interview mit Ernst Jünger – eine zwei Jahre alte Übernahme aus der Bunten, als aktueller Beitrag aufgemacht, und ein Gespräch mit Mitterrand – eine Übernahme aus der Pariser Illustrierten L'Express, die nach Auskunft des Elysee-Palastes von Focus arg verfälscht worden war. Willemsen zur taz über den jüngsten Fall: „Herr Markwort wird sich auf die Unfähigkeit oder Schlechtigkeit seines freien Mitarbeiters herausreden. Um so schlimmer für ein Blatt, das mit kleiner Redaktion und vielen Freien arbeitet. Man will die Info-Elite bedienen, und was man bietet, ist die Illusion von Information. Das Nasrin-Interview ist dafür nur das jüngste Beispiel.“ Jörg Lau