: Unterm Strich
Eine Woche vor dem Erscheinungstermin hat der Münchner Piper Verlag die Auslieferung des Buches „Auge um Auge – Opfer des Holocaust als Täter“ von dem Amerikaner John Sack gestoppt. Das Buch könne so mißverstanden werden, als ließe sich der Holocaust mit anderen Verbrechen aus dieser Zeit vergleichen oder gar aufrechnen, begründete der neue Verlagschef Viktor Niemann die kurzfristige Entscheidung. In dem Buch wird das Schicksal von Überlebenden des Holocaust geschildert, die nach ihrer Befreiung in Polen Gefängnisse und Lager beaufsichtigten, in denen Zehntausende von Deutschen festgehalten wurden, um die SS-Schergen herauszufinden. Wie die Betroffenen damit umgingen und zum Teil die Rolle ihrer Peiniger übernahmen, schildert Sack am Beispiel zahlreicher Einzelschicksale. In den USA wurde das vor zwei Jahren erschienene Buch mit dem Untertitel „Eine Parabel über die Gewalt“ von der Kritik kontrovers aufgenommen. Die Rechte für das in den USA nur mäßig gut verkaufte Buch hatte noch Ernst Rainer Piper für die zeitgeschichtliche Verlagsreihe erworben. Vielleicht sei ihm damals nicht klar gewesen, meinte Piper-Sprecherin Sigrid Bubolz, „daß eine sachliche Diskussion im Umfeld des Jahrestages kaum möglich sei“. Eine sehr charmante Erklärung, die wunderbar zu dem Thema des Buches paßt, macht sie doch die immer aufgeregten Opfer zu Tätern: Denn sie sind es ja, die eine „sachliche Diskussion“ sabotieren. Aber ist Sacks Buch ein Beitrag zu einer solchen? Weiter heißt es von seiten des Piper Verlags: Man habe ausschließen wollen, „von der falschen Seite Applaus zu bekommen“. Mit dem Autor soll in der nächsten Woche gesprochen werden. Einen Anspruch auf einen bestimmten Erscheinungstermin habe ein Autor nicht. Die Auflage des Buches sollte bei rund 5.000 Exemplaren liegen.
Unterdessen hat sich Sack zu Wort gemeldet, per Fax aus Ketchum, Idaho: „Ich bedauere die Entscheidung vom Piper Verlag tief. ,Auge um Auge‘ ist über den Holocaust und die Juden, welche dafür Rache in 1945 suchten. Der Holocaust hat stattgefunden. Die ,Rache‘ war gering im Gegensatz zum Holocaust selbst, und sie würde nicht stattgefunden haben, wäre es nicht auf Grund des Holocausts. Ich sage ausdrücklich in ,Auge um Auge‘: Dies war kein Holocaust oder dessen moralisches Äquivalent.“
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