: "Ich bin die verschluckte Kröte"
■ Gesichter der Großstadt: Veronika Arendt-Rojahn, Anwältin und Berliner Verfassungsrichterin, erhielt wegen ihres Engagements für Flüchtlinge einen Preis
Die meisten Menschen vergehen vor Freude, wenn man ihnen einen Orden umhängt. Die Rechtsanwältin und Notarin Veronika Arendt-Rojahn aber war „ehrlich gestanden, ein wenig bestürzt“, als sie erfuhr, daß ihr wegen ihres „unermüdlichen Engagements für die Rechte der Flüchtlinge“ der mit 10.000 Mark dotierte Werner-Holtfort-Preis verliehen werden sollte. In ihrer Dankesrede am 4. Februar in Hannover, der Stadt des verstorbenen Bürgerrechtlers und Preisstifters Werner Holtfort, verwies sie auf andere Anwälte, deren Verdienste „sicher“ größer seien als die ihren. Typisch weibliche Bescheidenheit? Typisch Arendt-Rojahn jedenfalls, daß sie sich weder in den Mittelpunkt stellen noch das Preisgeld behalten wollte. Sie schenkte es ihrer Mandantin Valentina Freimane, einer verarmten lettisch-jüdischen Autorin, die unter abenteuerlichsten Umständen den Holocaust überlebte.
Damit schließt sich ein Kreis im Leben der 1946 in Berlin geborenen Anwältin. Daß sie „irgend etwas für die Gerechtigkeit tun“ wollte und darum im Jahre 1966 ein Jurastudium begann, lag in der Person einer anderen Frau begründet, die dem Naziterror zum Opfer fiel. Veronikas Vater, Architekt im Bezirksamt Wedding, war mit einem Kunstmaler befreundet, dessen einzige Tochter wegen ihrer Nähe zur „Roten Kapelle“ mit 21 Jahren hingerichtet wurde. Das Schicksal dieser Familie habe sie während ihrer ganzen Kindheit sehr beschäftigt, sagt die Anwältin.
Den Kontrapunkt zur schweren Welt von Recht und Unrecht setzte die Musik. Mit 15 Jahren besuchte das klavierspielende Mädchen Veronika das Musikkonservatorium, mit 21 bestand sie dort ihren Abschluß. Auch hier hat sie schon mal einen Preis gewonnen: als Pianistin eines Kammermusik- Trios beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“. Aber als die Jurastudentin in die APO geriet und sich darüber erregte, wie die Justiz die Aufarbeitung der Nazizeit hintertrieb, blieb der Klavierdeckel lange Jahre zu.
Es gab zwischen Kindern und Karriere zuviel anderes zu deckeln. 1972 begann sie ihre Referendarzeit, 1974 gebar sie – inzwischen verheiratet – einen Sohn, 1975 bestand sie ihr Examen und wurde als Rechtsanwältin zugelassen, 1977 gebar sie eine Tochter und trennte sich von ihrem Mann. Inzwischen hat sie einen neuen Lebensgefährten gefunden, den ungarischen Schriftsteller Istvan Eörsi, den sie mal in Budapest, mal in Berlin oder auch anderswo zwischen den Welten trifft.
Zur Ausländerrechtsexpertin wurde Frau Arendt-Rojahn in der Kanzlei von Jürgen Moser, der sie elf Jahre angehörte, bevor sie sich 1986 selbständig machte. Bei ihrer Arbeit als Rechtsberaterin der Freien Wohlfahrtsverbände und der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR hat sie andere engagierte Anwälte kennengelernt. Mit diesen ist sie nach Pakistan gereist, um im UNHCR-Auftrag die Behandlung der afghanischen Flüchtlinge zu untersuchen, oder in die Türkei und nach Nordirland, um im Namen von Menschenrechtsorganisationen politische Prozesse zu beobachten. Das sei zwar oft deprimierend gewesen, sagt sie, aber auch erkenntnisfördernd. Die menschenwürdige Behandlung von Flüchtlingen sieht sie freilich immer weniger gewährleistet: Europaweit werde das Asylrecht unter dem Vorwand der Harmonisierung immer weiter ausgehöhlt, und immer mehr Flüchtlingsgruppen wie zum Beispiel die Kriegsflüchtlinge aus Bosnien würden aus dem Schutzbereich der Genfer Flüchtlingskonvention ausgegrenzt.
Hier redet die freundliche Anwältin mit dem unaufdringlichen Auftreten ganz als Juristin. Das tut sie auch, wenn sie auf das Berliner Verfassungsgericht zu sprechen kommt, dem sie seit seiner Konstituierung 1992 angehört. Die Grünen durften damals eine Person ihres Vertrauens in das neunköpfige Gremium entsenden, und nach einigem Hin und Her entfiel ihre Wahl auf die parteilose Juristin. Frau Arendt-Rojahn sei die Kröte, die das Parlament jetzt schlucken müsse, stöhnte es damals im konservativen Lager, und „die Kröte“ freut sich noch heute über diesen Spruch.
Auch über den Preis hat sie sich gefreut, trotz aller Bescheidenheit. Und über die Klezmermusik, die ihr zu Ehren in Hannover aufgeführt wurde. Die Oboe, erzählt die Pianistin, spielte „ein phantastischer Musiker“. Es war der Berliner Rechtsanwalt Matthias Zieger. Ute Scheub
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