: Kindesmißbrauch war kein Thema für Grüne
■ Mit Parteiausschluß reagieren Bündnis 90/ Die Grünen jetzt auf lange geduldete Aktivitäten pädophiler Mitglieder
Erstmals wollen Bündnis 90/ Die Grünen ein Mitglied ausschließen – den 66jährigen Fred K., der bereits drei Jahre wegen sexuellen Mißbrauchs an Kindern im Gefängnis saß und vergangene Woche erneut verurteilt wurde, diesmal zu zwei Jahren auf Bewährung. Fred K. war im Schwulenbereich aktiv, arbeitete in der Knast-AG und fotografierte für die Weddinger Parteizeitung Stachel. Heute diskutiert der Landesvorstand den Fall.
Fred K. hatte 1986 mit anderen Pädophilen einen Keller in der Kreuzberger Falckensteinstraße gemietet, offiziell ein „Freizeitangebot“ für Schlüsselkinder. In dem Keller (der sogar im Kreuzberger Stachel als „Nachbarschaftsladen“ annonciert war) vergingen sich Fred K. und seine pädophilen Freunde regelmäßig an Kreuzberger Grundschülern. Dafür kam Fred K. für drei Jahre ins Gefängnis. Inzwischen stand er insgesamt achtmal wegen sexuellen Mißbrauchs vor Gericht.
Doch für Fred K.s Vergangenheit schienen sich bei Bündnis 90/ Die Grünen bisher nur wenige zu interessieren. Im Schwulenbereich wußten die meisten zwar, daß K. pädophil ist, doch nicht „in diesem Ausmaß“, so der Vorsitzende des Schwulenbereichs, Anselm Lange. Gleiche Worte von Norbert Schellberg, Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen. Auch dem Landesvorstand war das „Ausmaß von K.s pädophiler Veranlagung“ nicht bekannt. „Extrem parteischädigend“ (Norbert Schellberg) wurde sein Verhalten anscheinend erst, als K. in seinem letzten Prozeß (diesmal war er wegen sexuellen Mißbrauchs von verhaltensauffälligen Grundschülern aus Prenzlauer Berg angeklagt) während der Verhandlung mit seiner Partei- Mitgliedschaft prahlte.
Die Frauengruppe von Bündnis 90/ Die Grünen Kreuzberg kritisiert dieses parteioffizielle Wegsehen seit Jahren. Im Oktober 94 griff sie in den Stacheligen Argumenten die Partei an: „Vornehmlich im Schwulenbereich gab und gibt es immer wieder Mitglieder und Sprecher, die sich mit den Forderungen von Pädophilen solidarisieren.“ Doch eine von diesen Mitgliedern angeführte einvernehmliche Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen könne es nicht geben, ist Fazit der Frauengruppe, die eine „eindeutige Positionsbestimmung“ der Partei fordert.
Die aber steht weiterhin aus. Statt dessen verteidigten fünf Bündnis 90/Die Grünen-Mitglieder in einer Stellungnahme sexuelle Handlungen mit Kindern, wenn sie „ohne psychischen und/ oder physischen Druck“ zustande kämen. Kindern würde damit „kein psychischer Schaden“ zugefügt. Weiter argumentierten sie, daß Kinder nur bleibende Schäden bekämen, wenn „die Sache rauskommt, d. h. wenn sie in einem Strafprozeß oder sonstwie erfahren, daß sie an etwas beteiligt waren, was unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten als verwerflich anzusehen ist“. Unterzeichner des Gegenartikels: fünf langjährige Mitglieder des Schulenbereichs, unter ihnen Fred K.
Doch innerhalb des Schwulenbereichs, der rund zwanzig Mitglieder hat, gibt es auch andere Meinungen. So distanzierte sich der Vorsitzende Anselm Lange von den pädophilen Positionen und setzt sich für den Parteiausschluß K.s ein. Auch wurde bei Neuwahlen im Schwulenbereich im vergangenen Mai sorgfältig darauf geachtet, daß keine Pädophilen für Gremien innerhalb der Partei aufgestellt wurden.
Auch der schwule jugendpolitische Sprecher im Abgeordnetenhaus, Christian Puls, sagt mittlerweile, daß es „in der Regel keine Einvernehmlichkeit bei sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern“ geben könne. In einem von der Kreuzberger Frauengruppe dokumentierten Gespräch vertrat er dagegen noch die Position, er wisse gar nicht, welche Auswirkungen der sexuelle Verkehr von Erwachsenen mit Jungen für diese habe. Julia Naumann
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