■ Nebensachen aus Paris: „Sei schön und halt den Mund!“
Mit dreizehn, vierzehn zupft sich die Französin die ersten Härchen aus den Achselhöhlen und rasiert ihre Waden glatt. Im Sommer darauf, paßt sie den Verlauf ihrer Schambehaarung der aktuellen Bikiniform an. Mit spätestens zwanzig beginnt sie mit dem Einsatz von Cremes gegen das Altern.
Solcherart präpariert, sind ihre weiblichen Reize unübersehbar geworden. Wenn sie daneben auch noch klug, vielleicht sogar vorwitzig und meinungsfreudig ist und sich in gemischte Gesellschaften begibt, wird der alte Ratschlag der mittelalten Männer nicht lange auf sich warten lassen: „Sei schön und halt den Mund!“
In den raffinierten Pariser Intellektuellenkreisen darf Mann das nur als Zitat sagen – zur allgemeinen Erheiterung über das gemeine Volk. Weiter draußen, wo Frankreich noch ganz tief ist, bekommt die Pariser Jurastudentin den ernstgemeinten Ratschlag beim Familienbesuch ihres Onkels zum Beispiel. Der wird ihn freilich nur seinen wohlgestalten Nichten geben; denen, die nicht nur hübsch, sondern auch charmant und verführerisch sind.
Die Kommentare der selbsternannten männlichen Experten über ihre äußere Erscheinung werden die Französin lebenslänglich begleiten. Ganz egal, ob sie jung oder alt, Künstlerin oder Beamtin, eine öffentliche Person oder zurückgezogen ist – frau muß gefallen. Legionen von Schönheitssalons, Friseuren und Schönheitschirurgen machen ihr Geschäft damit. Umgekehrt mangelt es AN Fachausdrücken über das Aussehen der Männer. Bei ihnen zählen andere Qualitäten.
Bis sie dreißig ist, günstigenfalls auch noch ein paar Jahre länger, darf die Französin auf die anerkennend gemeinte Aufforderung zum Schweigen hoffen. Ihre Schönheitspflege und die sorgfältige Abstimmung von Make-up und Kleidung wird jetzt um so wichtiger. Wenn sie nicht aufpaßt, wird es hinter ihrem Rücken bald Kommentare geben, wie den vernichtenden Satz: „Sie hat schon eine Menge Flugstunden hinter sich.“
Mit vierzig ist für viele die Zeit der härteren Techniken gekommen; die Palette reicht von der Schlankheitskur über die Reduktionsmassage bis zu Liposuccion — dem Absaugen vermeintlich überflüssiger Fette – bis zum Liften. „Sie ist immer noch schön“ ist das größte Kompliment, auf das die Französin zu diesem Zeitpunkt hoffen darf. Zur Beschreibung der zahlreichen gutaussehenden französischen Politikerinnen dieses Lebensjahrzehntes halten die männlichen Experten am Tresen das Urteil bereit: „Sie ist immer noch interessant fürs Bett.“
Mit fünfzig ändert sich die Tonart der Kommentare. „Sie hält sich ganz gut“, sagt mann jetzt, oder: „Sie altert gut.“ Von den weiblichen Reizen ist fast nur noch in der Vergangenheit die Rede. „Sie hat schöne Überreste“, heißt es zum Beispiel.
Mit zunehmendem Alter werden – falls überhaupt noch über sie geredet wird – die allgemeinen Qualitäten einer Frau gewürdigt, ihre Lebensgeschichte, ihre beruflichen Leistungen, ihr Engagement.
Von der Schönheit alternder Frauen sprechen die französischen Männer kaum. Und wenn, dann eher hämisch. Brigitte Bardot zum Beispiel, vor nur drei Jahrzehnten als nationales Symbol für Erotik und Verführungskunst gefeiert, hielt sich zu ihrem kürzlich begangenen 60. Geburtstag auffallend bedeckt. Anstelle aktueller Aufnahmen flimmerten reihenweise Filmausschnitte aus den frühen sechziger Jahren über die französischen Bildschirme. B.B., die sich im Gegensatz zu vielen anderen Altersgenossinnen nicht hat liften lassen, ist faltig geworden. Gleichaltrige Männer, die sich ihrer eigenen Doppelkinne, Kahlköpfigkeit und Leibesfülle nie geschämt haben, nehmen ihr das übel. „Sie altert schlecht“, sagen sie. Dorothea Hahn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen